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Batmans Schoenheit

Batmans Schoenheit

Titel: Batmans Schoenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Gefängnis befreit zu haben, aber nicht die geringste Anstrengung unternommen zu haben, Palle Swedenborg zu stellen und den Dreck am Stecken dieses Mannes zu untersuchen. Er wollte …
    Ein jeder ist zur Entschuldigung bereit, wenn er spürt, wie ihm die Luft ausgeht. Ein jeder ist bereit, seinen Reichtum zu opfern, wenn die Masse der Armen darangeht, ihn zu lynchen. Aber der fundamentale Sinn von Moral und Courage ist ihr Auftreten zu rechter Zeit und ganz sicher nicht ihre Verspätung. Verspätung ist nur dort eine Tugend, wo sie auf verquere Art jemandem hilft, der richtige Mann am richtigen Ort zu sein.
    Für Salty Dog war Cheng ganz sicher der richtige Mann am richtigen Ort gewesen. Aber es war nun mal kein dankbares kleines Schwein, das da auf Chengs Bauch saß, sondern eine großgewachsene und zornige Frau, die seinen Hals umfaßt hielt und ihn mit aller Kraft würgte. Cheng meinte, ein Vakuum zu verschlukken. Er spürte, wie es auf das Ende zuging. Da war ein Surren in seinen Ohren und ein Rauschen in seinem Kopf. Er schrumpfte. Ein wenig wie die kleine Alice in ihrem Wunderland. Nur, mit dem Unterschied, daß er damit nicht aufhörte.
    Irgendwann hatte es sich ausgeschrumpft. Cheng erwachte.
    Zur Erleichterung über dieses Wachsein, über die vermeintliche Gewißheit, nicht erwürgt worden zu sein, und also nicht gestorben, sollte sich in den folgenden Tagen ein unangenehmes, zunächst vollkommen unbenennbares Gefühl gesellen. Nach weiteren zwei Wochen war Cheng in der Lage, deutlich zu werden. Er sagte: »Ich träume nicht.«
    »Jeder träumt«, erwiderte die Frau, die neben ihm lag, eine Bekannte aus der Uni.
    »Ich nicht. Nicht mehr.«
    »Das kommt dir nur so vor. Manche erinnern sich an ihre Träume, andere nicht. Aber das weißt du doch, oder?«
    Ja, das wußte er. Aber in seinem Fall war es anders. Er fühlte die Schwere des Lebens, die sich manifestierte, wenn man ohne die Möglichkeit war, eben diese Schwere mittels seiner Träume zu mildern. So war er gezwungen, den Wachzustand ungleich präsenter und bedrängender wahrzunehmen, ganz in der Art einer stänkernden oder stark riechenden Person. Das fing schon mit dem Licht an, das ihm unangenehm hell erschien, das Wasser kälter oder wärmer als gewohnt, so daß er sich schwer tat, etwa beim Duschen die richtige Temperatur zu finden. Die Stimmen seiner Mitmenschen waren ihm zu laut oder zu leise, der Himmel zu blau oder zu grau, den Kuß seiner neuen Freundin empfand er als unecht, mal wie eine Übertreibung, dann, als handle es sich bloß um die Hälfte eines Kusses. Das Leben wirkte verfremdet, gekünstelt.
    »Sie sitzen zu viel über Ihren Büchern«, erklärte Chengs Hausarzt, ein lieber Kerl, aber … ja, ein lieber Kerl halt, der nicht wußte, wie selten Cheng über seinen Büchern saß, Bücher, deren Seiten ihm derzeit viel zu papieren vorkamen. Richtig, Buchseiten sind aus Papier. Aber was Cheng sah und fühlte, war wie die Verdoppelung einer Substanz: zwei Papiere, wo eigentlich nur eines sein sollte.
    Cheng wechselte zu einem Spezialisten, der ihn als Non-dreamer qualifizierte, womit aber nicht gemeint war, daß Cheng in der Tat ohne Träume war, sondern sich dies nur einbildete. Denn mehrere Untersuchungen hatten keine irgendwie geartete Beschädigung oder Beeinträchtigung des Gehirns ergeben. Hirnstamm, Frontallappen, Hirnrinde, alles war in Ordnung. Der Arzt drückte es so aus: »Sie sind gesund und Sie träumen. Das einzig Ungesunde ist, daß Sie sich überhaupt nicht an Ihre Träume erinnern können. Oder wollen.«
    Es war Cheng also nicht vergönnt, zu verdeutlichen, daß sein Problem schlichter- und tragischerweise darin bestand, im Traum getötet worden zu sein. Und daß er sich, wenn irgend möglich, eine Art von Wiedererweckung wünschen würde, denn für eine simple Wiederbelebung war es ja wohl zu spät.
    Selbstredend landete er auf dem Tisch einer Therapeutin, aber es war ein guter Tisch und eine gute Therapeutin, keine von denen, die es unternehmen, die eigene Psychose gleich einem schwarzen Peter in die Karten der Patienten zu schmuggeln. Nein, es handelte sich um eine geduldige, liebevolle, die Regeln ihrer Zunft fröhlich durchbrechende Frau, die nicht nur ein mildes Alraunenbier servierte, sondern auch mit Hypnose und Atemtechniken arbeitete. In erster Linie fühlte sich Cheng äußerst wohl in der Nähe dieser kleinen, ein wenig verbauten Person, die ungewöhnlich dicke Brillen trug, als seien selbige Teil ihrer

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