Bator, Joanna
die Zofia von ein paar weißlichen
Würmern reinigte und mit Wodka übergoss, es war auch klar, dass er schon lange
hungerte, denn sein eingefallener Bauch hing durch bis fast auf die
Wirbelsäule. Sie schnitt Ignacys Hemd und Hose mit der Schere entzwei und zog
ihm die schmutz- und blutstarrende Kleidung aus. Dann streifte sie ihm eine
Hose und ein Hemd von Maciek über und half ihm in die Küche, wo sie ihm mit
Wasser verdünnte Milch aufwärmte, am Ende dieses Tages hatte sie nicht viel
übrig. Zofia hielt ihm den Becher an die Lippen, er trank wie ein Kind, und er
weinte dabei. Die erste Nacht schlief Ignacy in der Küche, auf dem schmalen
Bett unter einem Bild, auf dem Christus sein fuchsienfarbenes Herz entblößte,
während Zofia im Halbdunkel auf dem Kartoffelschälhocker saß und über ihn
wachte. Man muss ihm diese Zotteln abrasieren, dachte sie, als sie zwischen
den dichten dunklen Haaren des Schlafenden eine Laus erspähte. Erst gegen
Morgen döste sie ein, und als sie erwachte, sah sie direkt in die auf sie gerichteten
Augen des Mannes, der flüsterte: Ich danke Ihnen! Wie es einem geschrieben
steht, so fällt der Stein ins Wasser, sagte sie, als er sie unnötigerweise
warnte, denn jedes Kind in Zalesie wusste, dass sie umkommen würde, wenn
herauskam, dass sie einen Juden versteckte. Kann man nichts machen. Sie zuckte
mit den Schultern, bedeutete ihm, sich auf den Küchenschemel zu setzen, und
schor ihn dann mit einem großen Rasiermesser, das sie an einem Gürtel schärfte,
völlig kahl. Wie bin ich hierhergekommen? fragte er sich, als er im Spiegel
seine Dybbukvisage und seinen mit einer grünen Paste eingeschmierten Kopf
betrachtete. Das muss so sein bei Läusen, erklärte ihm knapp die Frau mit den
Hüften wie eine Wiege und den gütigen rauhen Händen. Er sei aus Warschau, sagte
er, Ach ja? fragte sie.
Er hieß Ignacy
Goldbaum, war zweiundzwanzig Jahre alt und studierte in Warschau Medizin, als
der Krieg kam und seine Zukunft wie ein Häuflein Asche hinwegfegte. Damals
hatte er bei einer Schwester seiner Mutter gelebt, Roissa Boiss, einer
kinderlosen und sehr frommen Witwe, die in ihrer nach Mottenpulver und
Knoblauch riechenden Vierzimmerwohnung an den Rollstuhl gefesselt war. Dank
der Hilfe polnischer Freunde hatte Ignacy später aus dem Ghetto fliehen können;
sein Aussehen war besonders ungünstig, und auch die besten Papiere auf einen
Namen wie Kowalski oder Wisniewski hätten diese Nase und diese Augen nicht
vertuscht. In dem Haus, in dem er Obdach finden sollte, siegte jedoch die Angst
über die im Voraus bezahlte Nächstenliebe, und er musste wieder verschwinden.
Der letzte kostbare Gegenstand, den Ignacy besaß, war ein Goldring mit einem
Smaragd von seiner Tante. In dem Wald zwischen Brzezina und Zalesie gab er ihn
dem Mann, der versprochen hatte, wiederzukommen und ihn abzuholen - er oder
eine andere vertrauenswürdige Person, wie er gesagt hatte -, doch der Mann
verschwand auf Nimmerwiedersehen in den Büschen.
Auf dem
Dachboden, in den man aus der Speisekammer stieg, richtete Zofia für Ignacy
ein Lager her. Von einer plötzlichen Bauernschläue geleitet, ließ sie die
Leiter so stehen, wie sie vorher gestanden hatte. Wenn sie sich nur nicht durch
ihre zitternde Stimme und die unter der Schürze ineinander verkrallten Hände
verriet — sie hatte sich nie für einen mutigen Menschen gehalten -, würde sie
jedem ungebetenen Gast sagen können: Geh nur hinauf, geh nur hinauf, dort oben
auf dem Dachboden ist sowieso nichts. Zweimal täglich kletterte sie auf den
Dachboden, um Ignacy Essen zu bringen, dann sah er zuerst ihren Kopf, hellleuchtend
in dem Streifen silbrigen Lichts, das wie ein Springbrunnen durch die geöffnete
Klappe nach oben strömte. Sie stellte das Tablett ab und schob sich ganz empor,
der cremefarbene Hals, die Brüste und die Hüften, die kaum durch die Luke
passten. Sein erster Eindruck verstärkte sich: Es musste sich um einen Engel
handeln, einen Engel aus einer Warschauer Kirche, wie er sie manchmal aus
Neugier besucht hatte. Der Engel war in diesem Kaff am Ende der Welt zur Erde
herabgestiegen und hatte ihn gerettet. Wenn Ignacy Zofia ansah, hatte er für
eine Weile keine Angst. Zum ersten Mal seit langer Zeit zitterte er nur vor
Kälte, wenn er seinen mageren Körper mit den Kaninchenfellen bedeckte, die die
Frau säckeweise besaß. Die Zotteln gerieten ihm bei jedem Atemzug in die Nase,
und er konnte ein Niesen, das ihn möglicherweise verraten hätte, nur mit
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