Bator, Joanna
Mühe
unterdrücken. Einmal kam Zofia zwischen Frühstück und Abendessen
außerplanmäßig auf den Dachboden gestiegen, um ihm einen Apfel zu bringen, so
rund und rot, als würde beim Anbeißen Blut herausspritzen. Woher kam ein
solcher Apfel mitten im Winter? Der Engel nahm die Gestalt einer Verführerin
mit herzförmigem Gesicht und etwas rauhen Händen an, die ihm sagte, er solle
halt bloß aufpassen, könnten Würmer drin sein. In den ersten Wochen sagte Zofia
fast kein Wort, wenn sie das Essen hinstellte oder den Eimer zum Ausleeren
mitnahm. Sie antwortete einsilbig auf die Fragen des Mannes, der den Ring aus
dünnem Golddraht an ihrem Finger bemerkt hatte und sich denken konnte, dass
sie eine Kriegsstrohwitwe war.
Ignacys Wunde
heilte nicht gut, und sein Fieber wich erst nach einigen Wochen, die blutige
Masse auf seinem Schenkel sah aus wie verhärtetes rohes Fleisch, und nie mehr
würde sich Haut darauf bilden. Er sagte Zofia, welche Medikamente er brauchte,
und sie kaufte beim Apotheker, was dieser an Zutaten vorrätig hatte, obwohl
sie der Meinung war, die Umschläge aus Lorbeerblättern, die sie selbst gemacht
hatte, hätten besser geholfen. Ignacy fühlte sich allmählich kräftiger und übte
sein Gehirn, indem er sich Vorlesungen oder den Inhalt von Büchern in
Erinnerung rief, die er gelesen hatte, er zählte die erfrorenen Spinnen an der
Decke und multiplizierte sie mit der Anzahl der Ameisen, die er gefangen hatte,
er trainierte die schlaff gewordenen Muskeln bei Liegestützen, bis Zofia der
Putz auf den Kopf rieselte. Sie blieb jetzt länger auf dem Dachboden, schaute
dem Mann beim Essen zu, lauschte seinen Geschichten von Warschau, wo sie nie gewesen
war, während er die Straßen, Kaffeehäuser, Theater und Parks vor ihr erstehen
ließ, die Jugendstilhäuser mit Marmorfußböden und Treppengeländern aus
poliertem bernsteinglänzendem Holz, deren Spiralen sich in die Endlosigkeit
drehten. Zofia erwartete ungeduldig die Mahlzeiten, und wenn sie im Bett lag,
schaute sie auf die Zimmerdecke, verstört von dem unschicklichen Gedanken,
dass Ignacy in seinem Strohsack genau über ihr schlief. In ihr erwachte etwas
Helles und Leuchtendes, das ein gewöhnlicher Hunger nach Liebe sein mochte, aber
auch etwas Größeres — Neugier auf die Welt.
Obwohl es schon
März war, fiel draußen Schnee, die Fische erfroren in der Petcznica, und Zofia dachte daran, wie es sein musste, im Cafe auf dem Nowy Swiat zu sitzen
oder mit einem Sonnenschirmchen durch den Lazienki-Park zu spazieren und
Himbeereis in der Waffel zu lecken. Ignacy war anders als die Juden, die sie
bisher gekannt hatte, sicher auch anders als die ungläubigen Schurken, die den
lieben Jesus umgebracht hatten und mit denen Pfarrer Zdunek von der Kanzel
drohte, die persönlich kennenzulernen sie aber nie Gelegenheit gehabt hatte.
Der Herrgott schickt den Kaufmann, und der Teufel den Melassehändler, hatte
ihre Mutter jedes Mal gesagt, wenn der kleine fette Mosche, wegen seiner
schrecklichen Haut auch »Schorf« genannt, aus Skierniewice zu ihnen kam, um ihnen
ein paar Enten oder ein Kälbchen abzufeilschen, denn immer hatte sie hinterher
das Gefühl, betrogen worden zu sein. Was hat dieser Schorf mich wieder
ausgejiddelt! Jadwiga schüttelte den Kopf, teils aus Ärger, teils aus Bewunderung
für dessen Handelstalent. Zu dem sympathischen, geschwätzigen Aronek, von dem
sie Stoff und Faden kaufte, Abführzäpfchen und Rosencreme fürs Gesicht, die
nach echten Erdbeeren duftete, hatte Zofias Mutter auch kein rechtes Vertrauen
und feilschte mit ihm so lange herum, dass am Ende beide den Tränen nahe waren
und fluchten: dann sei es eben mein Verlust, soundsoviel und damit Schluss.
Ignacy indessen hatte nichts mit fliegenden Händlern oder Kaufleuten gemein.
Er aß, ohne wie Maciek zu rülpsen, und redete wie Pfarrer Zdunek. Zofia musste
sich ganz schön anstrengen, um nicht auf einem Seitenpfad seiner langen
verschachtelten Sätze steckenzubleiben. Der redet und redet! staunte sie. Woher
kommt soviel Gerede aus so einem mageren Menschen? Alle Augenblicke bat er um
etwas warmes Wasser, und er roch wie ein Welpe, wie Burek, dem sie erlaubt
hatte, bei ihr im Bett zu schlafen, bis er groß war und in die Hütte musste.
Wenn Zofia nachts aufwachte, meinte sie, diesen Welpengeruch Ignacys zu
riechen, und Gewissensbisse plagten sie beim Gedanken an ihren abwesenden
Mann, von dem sie nicht einmal wusste, ob er noch lebte. Eines Nachts öffnete
sie die Tür, die
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