Bator, Joanna
Nase, räuspert sich und singt: Ein Kind ist uns geboren ...
mit überraschend kräftiger Stimme, allerdings von Schluckauf unterbrochen.
Als Jadzia in den Saal der
Gebärfoltern kommt, ist es schon zu spät, um mit Einlauf, Rasur und Einschnitt
anzufangen. Der Nachwelt wäre dieser Teil ihrer kämpferischen Erinnerungen
entgangen, wenn Jadzia nicht mit der Zeit Geläufigkeit im Erfinden von
Frauengeschichten erworben hätte. Der Arzt, der an diesem Heiligabend Dienst
hat, ist entsprechend schlechter Laune, und auch das feuchtfröhliche Abendessen
in Gesellschaft der Kollegen aus der Chirurgie hat seine Laune nicht gehoben.
Die Aufnahme der achten Gebärenden in drei Stunden betrachtete der Arzt als
eine außerordentliche Ungerechtigkeit des Schicksals, haben sich diese Marias
alle abgesprochen oder was, verfickt noch mal. Er misst Jadzias Öffnung mit
dem Finger, hier tut sich noch nichts, Frau, alles still, beruhigt er sie mit
einem Klaps auf den Schenkel wie bei einer Kuh, während sie auf einer Wolke
Heringsatem ihr NEIN! brüllt, er lässt sie liegen, um zur nächsten Gebärenden
in ihrer Box hinter Bettlakenvorhängen zu gehen, schwankt, lässt das Stethoskop
fallen, wirft den Paravent um, fängt sich aber wieder; viele Jahre Übung sind
nicht umsonst. Links neben Jadzia grollt eine werdende Mutter mit Bassstimme
und sagt ein ums andere Mal Scheiße, rechts von Jadzia eine andere
Meingottmeingott, während des kurzfristigen Wegfalls des Paravents sieht man
sie in ihrer ganzen Pracht. Der Fünfmarienchor bildet aus der Ferne eine
Klangwolke aus Kreischen, Furzen und Stöhnen, und Jadzia wird irgendwie wohler,
weil es den anderen auch wehtut. Allen tut es weh, aber jede von ihnen wird
später Töchtern und Schwestern immer wieder erzählen, so wie sie hätte keine
Schmerzen gehabt, das war unvergleichlich, ihr Schmerz war absolut außergewöhnlich
und der allerschlimmste. Wenn der Schmerz, größer als der rechts und links,
unerträglich wird, dringen auf den Wehenwogen zwei Dinge in Jadzias
Bewusstsein: die beglückende Erkenntnis, dass sich ihre rechte Hand zum ersten
Mal seit Jahren zu einer gesunden Faust ballt, und die bestürzende Erkenntnis,
dass sie nach drei Tagen Verstopfung gleich einen Haufen machen wird und nichts
dagegen tun kann.
Als sie meinte, es könnte keine
Steigerung der Demütigungen mehr geben, zeigten sie ihr etwas Rotes, so erschreckend
in seiner plötzlichen Andersartigkeit unter diesem Licht, das kalt wie ein
Spiegel war oder wie Eis. Sie drückten den Stempel Mädchen darauf und gleich
den nächsten: Tochter, dann gingen sie mit diesem Etwas, mit diesem Fetzen, mit
diesem Tochter-Mädchen weg, aber Jadzia, eine durch den kreuzweisen Dammschnitt
ausgepresste große weiche Frucht, fühlte nicht die erwartete Erleichterung,
sondern dass etwas nicht stimmte. In einer großen Woge kam ein plötzlicher
neuer Wehenkrampf, sie schrie noch einmal NEIN!, und die Hebamme mit den
herzfömig geschminkten Lippen schaute zwischen ihre Beine, entblößte ein
kleines Nagergebiss und rief: Hier ist noch eins. Jadzia fühlte, wie noch etwas,
genauso, aber irgendwie anders - zarter, wie Seide, wie sie in Zukunft erzählen
wird - auf Blut und Jod durch sie glitschte und Durcheinander stiftete, sie
hörte hastiges Hin und Her, einen Schrei. Jadzia versuchte sich aufzurichten,
aber es ist nicht so einfach aufzustehen, wenn man fast achtzig Kilo wiegt und
die Beine mit Lederschlaufen am Entbindungsbett festgeschnallt sind. Sie
ruckte nur ein-, zweimal, dann kam die Hebamme mit den kleinen Zähnchen und gab
ihr eine Beruhigungsspritze. Das Letzte, was Jadzia hörte, war: Zu spät.
Als Jadzia ein paar Stunden später
aufwachte, lag sie in einem anderen Saal, zugenäht und jodtriefend, zwischen
sechs anderen, die genau wie sie zugenäht und jodtriefend waren und auf die
geflickten Laken bluteten, auf die löchrigen Wachstuchunterlagen, auf die
Matratzen mit dem bräunlichen Mohn, der immer wieder aufs neue in der Mitte
aufblühte, wie die Mohnblumen von Monte Cassino für jeden dort gefallenen
Soldaten, und Jadzia konnte sich nicht einig werden, was die Vornamen anging.
Paulina und Dominika, diese zwei, die sie ausgesucht hatte, waren so schön
und ungewöhnlich unter den Kasias, Basias und Joasias, sie konnte sich einfach
nicht für einen entscheiden. Sobald die angehende Mama einem den Vorzug gab,
erschien ihr der verworfene plötzlich hübscher, ein schweres Problem. Zwei
Namen, Dominika und Paulina,
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