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Bator, Joanna

Bator, Joanna

Titel: Bator, Joanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandberg
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Wirbelsäule unter der Teppichstange, von einem
Perversen im Keller zu Kleinholz zerschlagen, unter den Rädern eines
Lastwagens zu Kirschmarmelade zerquetscht. Dominika kann auf Piaskowa Göra
nicht mal unter den Fenstern vorbeigehen, ohne dass im Kopf der Mutter eins
davon aus dem Rahmen reißt und auf sie fällt. Das Überleben in einem so gefahrenvollen
Leben ist nicht leicht für einen Säugling, der aussieht wie ein Greis im
Miniaturformat und mit dem Leichnam der Schwester auf die Welt gekommen ist.
    Alle Frauen in Jadzias
Nachgeburtsfolterkammer waren sich einig, dass es besser und hygienischer war,
ein Kind mit künstlicher Nahrung zu futtern, was überdies wissenschaftlich
nachgewiesen war. Die Frau Ingenieurin, die längs und kreuzweise genäht werden
musste, nachdem ihr schwergewichtiges Söhnchen sie mir nichts dir nichts und
ohne Unterlass von innen attackiert hatte, behauptete mit spürbarer Sehnsucht
in der Stimme, in der Zukunft werde es sogar künstliche Gebärmütter geben, in
denen man den Nachwuchs ausgewählten Geschlechts wie in einem Brutkasten würde
züchten können. Man würde kommen und durch eine Scheibe betrachten, wie er
wuchs, und wenn es nach ihr ginge, dann würde sie nur Jungen züchten und keine
solchen Schmöchter-Töchter, wozu waren die denn schon gut. Der armen
tochtergebärenden Jadzia fiel eine freche Antwort wie üblich zu spät ein, als
sie schon nicht mehr angebracht war. Die Wissenschaft, das war der Schlüssel
zur Macht, und keine der Damen, Jadzia inbegriffen, wollte ein Weiblein vom
Dorfe sein, wo im Gegensatz zu Städten wie Walbrzych Unwissen, Aberglauben und
Mangel an Hygiene herrschten. Die Hebamme nahm Jadzia den weißen Wickel aus den
Armen, dessen Inhalt sich nicht auf Saugfunktion einstellen ließ, und abseits
des mütterlichen Blicks, der nicht verfettet war, wurde das Neugeborene zum
ersten und nicht zum letzten Mal mit Ersatzmilch gefüttert, verabreicht durch
einen Schnuller mit zu großem Loch. Da hieß es schlucken, um nicht zu
ersticken.
    Als Dominika im Krankenhaus zum
ersten Mal das Gesichtchen von der Brust abwandte und die Mutter ansah, spürte
Jadzia, wie ein Schauer des Widerwillens ihren geschundenen Körper überlief.
Wenn sich die Tür hinter dem weißen Kittel der Hebamme schloss, stellte sich Erleichterung
ein, weil ihr der Wickel aus den Armen genommen und samt dem als Dominika
Chmura etikettierten Inhalt fortgebracht worden war. Etwas Dunkles in Jadzia
wollte nie wieder dieses verrunzelte rote Gesichtchen betrachten, vergessen!
schrie dieses Etwas, die Berührung des leicht deformierten Köpfchens
vergessen, dessen weiche Knochen ein wenig eingedrückt waren, wo sie die
Zwillingsschwester berührt hatten. Dieses Köpfchen, so zerbrechlich wie ein
ausgeblasenes Ei, Jadzia wird es nicht schaffen, es am Leben zu erhalten. Es
zerbröselt unter ihren Fingern, birst, sobald es an die Stangen des Gitterbettchens
stößt, durch die Ohren wird ihm das Badewasser hineinfließen. Diese Jadzia,
alles hat sie durcheinandergebracht - wie kann man das vergessen, jede Mutter
will doch das Bild ihres wehrlosen Neugeborenen in Erinnerung behalten. Sie
will es in Erinnerung behalten und eines Tages dem gegen ihren Willen vom
Säugling zur Lebensenttäuschung herangewachsenen Menschen, dieser am eigenen
Busen genährten Schlange sagen, dass sie ihn sozusagen von Gnaden genährt und
ihm von Ungnaden den Hintern abgewischt hat, deshalb soll er der Mutter nicht
frech kommen, denn ihr dämmert, dass sie sich umsonst geopfert und aufgerieben
hat. Nach der Rückkehr in die Wohnung in Szczawienko renkt sich Jadzias Zustand
nicht ein, dieses Etwas in Jadzia wird eher noch schlimmer, noch unartiger, es
führt ein Eigenleben, ist aber gleichzeitig in sie verkrallt wie ein
parasitärer Zwilling. In schlaflosen Nächten überschwemmte Jadzia das Zimmer
mit den Meeren, die aus ihr strömten, und wie eine Riesenalge unter der Decke
hängend beobachtete sie, wie das Wasser ihren Mann und ihre Tochter verschlang.
Sie sah, wie sich Tintenfische um den nichtsahnenden Stefan schlangen, wie
Quallen auf das kleine Holzbettchen sanken und eine gallertartige Decke über
Dominika breiteten, unter der letzte Luftblasen emporstiegen. Der Jadzia-Alge
fehlte der Mut und vielleicht auch die Kraft, um ohne Luftholen in der
nächtlich heraufbeschworenen Flut zu verharren und sich erst morgens ans Ufer
schwemmen zu lassen. Sie dachte ans Springen aus einem hochgelegenen Fenster,
an Gas, ans

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