Baudolino - Eco, U: Baudolino
die Schafe zu stürzen. Vielleicht wollten sie ihr gar nichts tun, aber sie stießen sie um und warfen sie zu Boden, die Schafe stoben auseinander und überrannten sie ... Der Schäfer war Hals über Kopf davongelaufen, und so fand man sie erst am späten Abend, als man sie suchen gegangen war, und da hatte sie hohes Fieber. Guasco schickte jemanden, mich zu benachrichtigen, ich kam, so schnell ich konnte, aber inzwischen waren zwei Tage vergangen. Sie lag im Sterben, und als sie mich sah, wollte sie sich bei mir entschuldigen, denn das Kind, sagte sie, sei zu früh herausgekommen, und da sei es schon tot gewesen, und sie machte sich Vorwürfe, weil sie nicht mal imstande gewesen sei, mir einen Sohn zu schenken. Sie wirkte wie eine kleine Wachsmadonna, und ich musste das Ohr ganz nahe an ihren Mund halten, um zu verstehen, was sie sagte. Schau mich nicht an, Baudolino, sagte sie, mein Gesicht ist ganz zerknautscht vom vielen Weinen, und so findest du außer einer schlechten Mutter auch noch eine hässliche Ehefrau vor ... Noch im Sterben bat sie mich um Vergebung, während ich sie bat, mir zu verzeihen, dass ich im Moment der Gefahr nicht bei ihr gewesen war. Dann wollte ich das tote Kind sehen, aber sie wollten es mir nicht zeigen. Es war, es war ...«
Baudolino hielt inne. Er hob den Kopf und blickte nach oben, da er nicht wollte, dass Niketas seine Augen sah. »Eswar ein kleines Monster«, sagte er nach einer Weile, »wie jene, die wir uns im Land des Priesters Johannes vorstellten. Das Gesicht mit kleinen Augen, die wie schräge Schlitze waren, eine spindeldürre Brust mit zwei Ärmchen, die aussahen wie Polypenarme. Und vom Bauch bis zu den Füßen bedeckt mit einem weißen Flaum wie ein Lämmchen. Ich konnte es nur kurz betrachten, dann wies ich meine Leute an, es zu begraben, aber ich wusste nicht einmal, ob man dazu einen Priester herbeirufen konnte. Ich ging aus der Stadt und lief die ganze Nacht in der Frascheta herum und sagte mir: Da hatte ich nun mein ganzes bisheriges Leben damit verbracht, mir Wesen aus anderen Welten vorzustellen, und in meiner Phantasie waren sie wie märchenhafte Wunderwesen erschienen, die mit ihrem Anderssein die unendliche Macht des Herrn bezeugten, und als der Herr mich einlud, zu tun, was alle anderen Männer tun, da hatte ich nicht ein Wunderwesen, sondern etwas Grauenhaftes gezeugt. Mein Kind war eine Lüge der Natur, Herr Otto hatte recht gehabt, aber mehr, als er selber dachte: Ich war ein Lügner und hatte so sehr als Lügner gelebt, dass sogar mein Samen eine Lüge hervorgebracht hatte. Eine tote Lüge. Und da habe ich begriffen ...«
»Heißt das«, fragte Niketas zögernd, »du hast beschlossen, dein Leben zu ändern?«
»Nein, Kyrios Niketas, ich sagte mir, wenn dies mein Schicksal war, dann war es nutzlos, dass ich versuchte, wie die anderen zu sein. Ich war nun ganz und gar der Lüge verschrieben. Es ist schwer zu erklären, was mir durch den Kopf ging. Ich sagte mir: Solange ich erfand, habe ich Dinge erfunden, die nicht wahr waren, aber wahr wurden. Ich habe San Baudolino erscheinen lassen, ich habe eine Bibliothek in Sankt Viktor erschaffen, ich habe die Magierkönige durch die Welt ziehen lassen, ich habe meine Stadt gerettet, indem ich eine magere Kuh mästen ließ, wenn es in Bologna Doktoren gibt, ist das auch mein Verdienst, ich habe in Rom mirabilia erscheinen lassen, von denen sich die Römer nichts träumen ließen, ich habe ausgehend von einer Kabbala jenes Hugo von Gabala ein Reich erschaffen, das an Schönheit nicht seinesgleichen hat, bis ich dann eineTraumgestalt liebte und sie Briefe schreiben ließ, die sie nie geschrieben hatte, die aber jeden, der sie las, in schmachtende Verzückung trieben, sogar die Verfasserin selbst, die sie nie geschrieben hatte, und dabei war sie immerhin eine Kaiserin. Und das einzige Mal, dass ich etwas Wahres machen wollte, mit einer Frau, die aufrichtiger und wahrhaftiger nicht sein konnte, da habe ich versagt: Ich habe etwas produziert, von dem niemand glauben und wünschen kann, dass es existiert. Darum ist es besser, ich ziehe mich in die Welt meiner Wunderwesen zurück, denn in der kann ich wenigstens selbst entscheiden, in welchem Maße sie eben wunderbar sind.«
19. Kapitel
Baudolino ändert den Namen seiner Stadt
»Ach, armer Baudolino«, sagte Niketas, während sie mit den Vorbereitungen für den Aufbruch fortfuhren, »Weib und Kind verloren in der Blüte deiner Jahre. Und auch ich, auch ich kann
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