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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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morgen das Fleisch von meinem Fleische verlieren und meine geliebte Frau durch die Hand eines dieser Barbaren! O Konstantinopel, Königin der Städte, Zelt des Allerhöchsten, Lob- und Preislied Seiner Diener, Entzücken der Fremden, Kaiserin der Kaiserstädte, Lied der Lieder, Zierde der Zierden, einzigartiges Schauspiel der allerseltensten Dinge, was wird aus uns werden, wenn wir dich verlassen, nackt, wie wir aus dem Mutterleib kamen? Wann werden wir dich wiedersehen, nicht wie jetzt eine Stätte der Verwüstung, ein Tal des Jammers, ein Tummelplatz feindlicher Heere ...?«
    »Lass gut sein, Kyrios Niketas«, sagte Baudolino, »und vergiss nicht, dass du vielleicht zum letzten Mal Gelegenheit hast, von diesen Delikatessen zu kosten, die eines Lukullus würdig sind. Wie heißen diese Fleischbällchen, die den Duft eures Gewürzmarktes haben?«
    »Kephtedes, und der Duft kommt von Zinnamom und etwas Minze«, antwortete Niketas, schon wieder getröstet. »Und für den letzten Tag ist es mir gelungen, uns ein wenig Anislikör bringen zu lassen. Du musst ihn trinken, während er sich im Wasser auflöst wie eine Wolke.«
    »Er ist gut, er benebelt nicht, man fühlt sich, als ob man träumt«, sagte Baudolino. »Den hätte ich nach Colandrinas Tod trinken sollen, vielleicht hätte ich sie dann vergessen können, so wie du bereits das Unglück deiner Stadt vergisst und alle Furcht vor dem verlierst, was morgen geschehen wird. Statt dessen betäubte ich mich mit dem Wein unsererGegend, der einen sofort einschlafen lässt, aber wenn man danach wieder aufwacht, geht es einem noch schlechter als vorher.«
     
    Baudolino brauchte ein ganzes Jahr, um die tiefe Schwermut zu überwinden, in die er gefallen war, ein Jahr, von dem er nur in Erinnerung hatte, dass er ausgedehnte Ritte durch Wälder und Ebenen machte, dann irgendwo anhielt und sich volllaufen ließ, bis er in einen langen unruhigen Schlaf sank. In seinen Träumen sah er sich, wie er endlich Zosimos wiederfand und ihm (mitsamt dem Bart) die Karte entriss, um ein Reich zu finden, in dem alle Neugeborenen Thinsiretae und Methagallinarii sein würden. Alexandria mied er, da er fürchtete, dass seine Eltern oder Guasco und dessen Leute von Colandrina und dem nie geborenen Kind reden würden. Oft flüchtete er sich zu Friedrich, der ihn väterlich und verständnisvoll ermunterte und abzulenken versuchte, indem er von schönen großen Unternehmungen sprach, die er zum Wohle des Reiches vollbringen könnte. Bis er ihm eines Tages eröffnete, dass er sich entschlossen habe, eine Lösung für Alexandria zu finden; sein Zorn sei mittlerweile verraucht, und um Baudolino einen Gefallen zu tun, wolle er die alte Wunde heilen und den Stein des Anstoßes aus dem Weg räumen, ohne die Stadt unbedingt zerstören zu müssen.
    Dieser Auftrag gab Baudolino neuen Lebensmut. Der Kaiser war inzwischen bereit, mit den lombardischen Städten einen dauerhaften Frieden zu schließen, und Baudolino sagte sich, dass es im Grunde nur noch eine Frage des Starrsinns war. Friedrich ertrug es nicht, dass da eine Stadt existierte, die ohne seine Erlaubnis erbaut worden war und obendrein noch den Namen seines Feindes trug. Wohlan, wenn Friedrich nun diese Stadt neu gründen würde, am gleichen Ort, aber mit anderem Namen, so wie er Lodi an einem anderen Ort, aber mit gleichem Namen neu gegründet hatte, dann würde er ohne Gesichtsverlust aus der Sache herauskommen. Und was die Alexandriner anging, was wollten sie denn? Sie wollten eine Stadt haben, um dort ihren Handel betreiben zu können. Es war reiner Zufall,dass sie sie nach Alexander III. benannt hatten, der inzwischen tot war und sich also nicht mehr beleidigt fühlen konnte, wenn sie sie jetzt anders nennen würden. So kam Baudolino die Idee. Eines schönen Morgens würde Friedrich mit seinen Rittern vor den Mauern von Alexandria erscheinen, alle Einwohner würden herauskommen, eine Schar von Bischöfen würde hineinziehen, würde die Stadt neu weihen, so man denn sagen konnte, dass sie je geweiht worden war, beziehungsweise würde sie umtaufen und ihr den Namen Caesarea geben, also Caesars Stadt, Kaiserstadt, die Ex-Alexandriner würden vor den Kaiser treten und ihm huldigen, dann würden sie wieder hineingehen und die neue Stadt in Besitz nehmen, als wäre es eine andere, vom Kaiser gegründete, und würden glücklich und zufrieden in ihr leben.
    Wie man sieht, war Baudolino dabei, seine Verzweiflung mit einem weiteren Meisterstück seiner

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