Baudolino - Eco, U: Baudolino
denn der römische Senat, der wichtiger als der Pontifex sein wollte, hatte Friedrich auf dem Kapitol krönen wollen. Das aber hatte Friedrich abgelehnt, denn wenn er bei der Rückkehr nach Deutschland gesagt hätte, er sei vom Volk gekrönt worden, dann würden nicht nur die deutschen Fürsten, sondern auch die Könige von Frankreich und England höhnisch sagen, na das ist aber eine schöne Salbung durch den heiligen Pöbel, während wenn er sagte, er sei vom Papst gekrönt worden, dann würden es alle ernst nehmen. Die Sache war aber noch komplizierter, und das habe ich erst hinterher begriffen. Die deutschen Fürsten hatten seit einer Weile angefangen, von einer translatio imperii zu sprechen, womit sie sagen wollten, dass das Erbe der Römischen Kaiser auf sie übergegangen sei. Wenn sich nun Friedrich vom Papst krönen ließ, dann hieß das so viel wie, dass sein Recht auch vom Stellvertreter Christi auf Erden anerkannt wurde, der dies ja auch dann wäre, wenn er nicht in Rom, sondern zum Beispiel in Edessa oder in Regensburg residierte. Ließ sich der Kaiser dagegen vom Senat und Populusque Romanus krönen, dann hieß das so viel wie, dass das Reich noch immer in Rom beheimatet war und es keine translatio gegeben hatte. Pfiffig ausgedacht hatten sich das die Römer – bravo, Schlauberger, wie mein Vater Gagliaudo immer sagte. Klar, dass Friedrich hierbei nicht mitmachen wollte. Deswegen sind die erbosten Römer dann, als das große Krönungsmahl im Gange war, über den Tiber gekommen und haben nicht bloß ein paar Priester umgebracht, was damals alle Tage vorkam, sondern auch zwei oder drei Kaiserliche. Friedrich sah rot vor Wut, er unterbrach das Mahl und ließ sie alle abschlachten, danach schwammen im Tiber mehr Leichen als Fische, und am Ende des Tages hatten die Römer begriffen, wer der Herr war, aber als Fest betrachtet war es sicher keine sehr schöne Sache gewesen. Daher war Friedrich nicht gut auf jeneitalienischen Städte zu sprechen, und so kam es, als er Ende Juli vor Spoleto eintraf und Gastrecht verlangte und die Spoletaner allerlei Ausflüchte machten, dass er noch zorniger wurde als in Rom und ein Gemetzel veranstaltete, mit dem verglichen das hier in Konstantinopel bloß ein Kinderspiel ist ... Du musst verstehen, Kyrios Niketas, ein Herrscher muss als Herrscher auftreten, ohne seine Gefühle zu schonen ... Ich habe viel gelernt in jenen Monaten, nach Spoleto kam die Begegnung mit den Gesandten aus Byzanz in Ancona, dann die Rückkehr nach Oberitalien, das sogenannte Italia ulterior , bis hinauf zu den Hängen der Alpen, die Otto Pyrenäen nannte, und es war das erste Mal, dass ich die Gipfel der Berge schneebedeckt sah. Und derweil führte mich, Tag für Tag, der Kanonikus Rahewin in die Kunst des Schreibens ein.«
»Muss hart gewesen sein für einen Jungen ...«
»Nein, hart war es nicht. Sicher, wenn ich etwas nicht verstand, gab mir der Kanonikus eine Kopfnuss, was mir jedoch nach den Schlägen meines Vaters nicht so viel ausmachte, aber sonst hingen mir alle an den Lippen. Wenn es mir zum Beispiel in den Sinn kam zu sagen, ich hätte eine Sirene im Meer gesehen – nachdem der Kaiser mich eingeführt hatte als einen, der Heilige sah –, dann glaubten mir alle und sagten bravo, bravo ...«
»Das wird dich gelehrt haben, deine Worte zu wägen.«
»Im Gegenteil, es hat mich gelehrt, sie überhaupt nicht zu wägen. Ich bildete mir langsam ein: Was immer ich sage, ist wahr, weil ich es gesagt habe ... Als wir nach Rom zogen, erzählte mir ein Priester namens Konrad von den mirabilia jener Stadt, von den sieben Automaten des Kapitols, die für die sieben Tage der Woche standen und jeder mit einem Glöckchen jeden Aufstand in einer Provinz des Reiches meldeten, oder von den Bronzestatuen, die sich von selber bewegten, oder von einem Palast voller Zauberspiegel ... Dann kamen wir nach Rom, und an dem Tag, als sie das Gemetzel am Ufer des Tibers machten, bin ich frühmorgens losgezogen und kreuz und quer durch die Stadt gewandert. Und ob du's glaubst oder nicht, ich habe bloß Schafherden zwischen antiken Ruinen gesehen und unterden Torbögen Leute, die sich in der Sprache der Juden unterhielten und Fisch verkauften, aber mirabilia habe ich keine gesehen, außer einer Reiterstatue im Lateran, aber auch die ist mir nicht besonders großartig vorgekommen. Doch als wir dann auf dem Rückweg waren und ich von allen gefragt wurde, was ich gesehen hätte – konnte ich da etwa sagen, in Rom gäb's
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