Baudolino - Eco, U: Baudolino
schicken wollte, dann sagte er es auf Alemannisch, aber wenn er an den Papst oder an seinen Vetter Jasomirgott schrieb, dann musste es auf Lateinisch sein, desgleichen alle Dokumente seiner Kanzlei. Ich hatte anfangs große Mühe, die Buchstaben auf die Tafel zu malen, ich schrieb Wörter und Sätze ab, deren Bedeutung ich nicht verstand, aber schließlich, am Ende des Jahres, konnte ich leidlich schreiben. Allerdings hatte Rahewin noch keine Zeit gehabt, mir die Grammatik beizubringen. Ich konnte abschreiben, aber nicht aus eigener Kraft formulieren. Deswegen schrieb ich in der Sprache meiner heimischen Frascheta. Aber war das wirklich die Sprache der Frascheta? Ich vermischte sie mit Erinnerungen an andere Idiome, die ich ringsum gehört hatte – bei den Leuten in Asti, Pavia, Mailand und Genua, das heißt bei Leuten, die so verschieden sprachen, dass sie sich untereinander oft nicht verstanden. Später haben wir in unserer Gegend eine Stadt gebaut, mit Leuten, die von hier und da kamen, die sich zusammenfanden, um einen Turm zu bauen, und dabei haben sie alle in gleicher Weise gesprochen. Ich glaube, es war ein bisschen die Methode, die ich erfunden hatte.«
»Du warst so etwas wie ein Nomothet«, sagte Niketas.
»Ich weiß nicht genau, was das bedeutet, aber vielleicht ist es so gewesen. Jedenfalls schrieb ich die nächsten Bögen schon in einem passablen Latein. Ich war inzwischen inRegensburg, in einem ruhigen Kloster, unter der Obhut des Bischofs Otto, und in jener Zeit des Friedens gingen Bögen um Bögen durch meine Hände ... Ich lernte. Du wirst bemerkt haben, dass dieses Pergament schlecht abgeschabt worden ist, man sieht noch Teile von dem, was darunter gestanden hatte. Ich war wirklich ein Schuft, ich bestahl meinen Lehrer: Zwei Nächte lang schabte und kratzte ich ab, was ich für alte Schriften hielt, um Platz zum Schreiben zu haben. In den Tagen darauf war Bischof Otto ganz verzweifelt, weil er die erste Fassung seiner Chronica sive Historia de duabus civitatibus , an der er seit über zehn Jahren geschrieben hatte, nicht mehr finden konnte, und er beschuldigte den armen Rahewin, sie auf einer Reise verloren zu haben. Zwei Jahre später entschloss er sich, sie neu zu schreiben, und ich war sein Schreiber, aber ich habe nie gewagt, ihm zu gestehen, dass ich die erste Fassung seiner Chronica abgekratzt hatte. Wie du siehst, gibt es eine Gerechtigkeit, denn auch ich habe nun meine Chronik verloren, nur habe ich nicht den Mut, sie neu zu schreiben. Ich weiß allerdings, dass Otto beim Neuschreiben etwas geändert hat ...«
»Inwiefern?«
»Wenn man Ottos Chronica liest, die eine Geschichte der Welt ist, dann sieht man, dass er von uns Menschen keine gute Meinung hatte. Die Welt hatte möglicherweise gut angefangen, aber dann ist es immer schlechter mit ihr gegangen, mit einem Wort: mundus senescit , die Welt vergreist, wir nähern uns dem Ende ... Doch gerade in dem Jahr, in dem Otto seine Chronica neu zu schreiben begann, hatte ihn der Kaiser gebeten, auch seine Taten zu verherrlichen, und Otto hatte sich darangemacht, die Gesta Friderici zu schreiben, die er dann nicht mehr beenden konnte, weil er nur wenig später als ein Jahr darauf gestorben ist, so dass Rahewin sie fortsetzen musste. Nun kann man jedoch die großen Taten seines Kaisers nicht gebührend beschreiben, wenn man nicht überzeugt ist, dass mit seiner Thronbesteigung ein neues Zeitalter beginnt, dass es sich also, mit einem Wort, um eine Freudengeschichte handelt, eine historia iucunda ...«
»Man kann die Geschichte der eigenen Herrscher schreiben, ohne auf Strenge zu verzichten, indem man erklärt, wie und warum sie ihrem Untergang entgegengehen ...«
»Mag sein, dass du so vorgehst, Kyrios Niketas, der gute Otto von Freising tat es jedenfalls nicht, ich berichte nur, wie die Dinge gelaufen sind. Dieser fromme Mann schrieb also einerseits seine Chronica neu, in der die Welt schlechter und schlechter wird, und andererseits die Gesta Friderici , worin die Welt nicht anders konnte, als immer besser zu werden. Du wirst sagen: Er widersprach sich. Wenn es nur das wäre! Ich habe den Verdacht, dass in der ersten Fassung seiner Chronica die Welt noch viel schlechter war und dass Otto, um sich nicht allzu sehr zu widersprechen, beim Neuschreiben seiner Chronica immer nachsichtiger mit uns armen Menschen wurde. Und das habe ich provoziert, weil ich die erste Fassung abgeschabt hatte. Wer weiß, wenn sie erhalten geblieben wäre, hätte
Weitere Kostenlose Bücher