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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Österreich erfand. Im März des folgenden Jahres kündigte Otto seinem Zögling an, dass sie im Juni alle nach Würzburg gehen würden, wo Friedrich sich glücklich zu verheiratengedachte. Der Kaiser war schon einmal verheiratet gewesen, hatte sich jedoch vor einigen Jahren von seiner Frau getrennt und wollte nun die Gräfin Beatrix von Burgund heimführen, die als Mitgift ihre Grafschaft bis hinunter zur Provence einbrachte. Bei einer so großen Mitgift werde es sich gewiss um eine Vernunftehe handeln, dachten Otto und Rahewin, und in diesem Geist machte sich auch Baudolino darauf gefasst, am Arm seines Adoptivvaters eine ältliche Jungfer zu sehen, deren Reize eher in den Gütern ihrer Vorfahren als in ihrer persönlichen Schönheit lagen.
     
    »Ich gebe zu, ich war eifersüchtig«, sagte Baudolino zu Niketas. »Da hatte ich nun seit kurzem einen zweiten Vater gefunden, und schon wurde er mir wieder, zumindest teilweise, von einer Stiefmutter genommen.«
    Hier machte Baudolino eine Pause, zeigte eine gewisse Verlegenheit, fuhr sich mit einem Finger über die Narbe und enthüllte dann die schreckliche Wahrheit: Als er nach Würzburg kam, entdeckte er, dass Beatrix von Burgund ein zwanzigjähriges Mädchen von außerordentlicher Schönheit war – zumindest kam sie ihm so vor, und kaum hatte er sie erblickt, konnte er keinen Muskel mehr rühren und starrte sie mit aufgerissenen Augen an. Sie hatte golden glänzendes Haar, ein makellos schönes Gesicht, der Mund klein und rot wie eine reife Frucht, die Zähne weiß und regelmäßig, die Haltung aufrecht, der Blick bescheiden, die Augen klar. Züchtig und zugleich gewinnend in ihrer Rede, zarten Leibes und feingliedrig, schien sie im Glanz ihrer Anmut alle zu beherrschen, die sie umgaben. Sie verstand es – höchste Tugend für eine künftige Herrscherin –, ihrem Gatten untertan zu erscheinen, indem sie vorgab, ihn als ihren Herrn und Gebieter zu fürchten, aber sie war seine Herrin, wenn es darum ging, ihm ihren Willen als Gattin zu bekunden, was sie mit solcher Grazie tat, dass jede ihrer Bitten sogleich Gehör fand, als wär's ein Befehl. Wollte man noch etwas zu ihrem Lob hinzufügen, so könnte man sagen, sie war geübt im Lesen und Schreiben, gewandt im Musizieren und bezaubernd im Singen. So dass, schloss Baudolino, der Name Beatrix wirklich hervorragend für sie passte.
    Für Niketas war es nicht schwer zu begreifen, dass der junge Mann sich auf den ersten Blick in seine fast ebenso junge Stiefmutter verliebt hatte, nur dass er – da er sich zum ersten Mal verliebte – nicht wusste, was ihm da widerfuhr. Es ist ja schon ein blitzartig blendendes, umwerfendes Ereignis, wenn man sich als Bauernsohn zum ersten Mal in ein pickliges Bauernmädchen verliebt, um wie viel mehr also erst, wenn man sich als Bauernsohn zum ersten Mal in eine zwanzigjährige Kaiserin mit milchweißer Haut verliebt!
    Baudolino begriff sofort instinktiv, dass das, was er da empfand, eine Art Diebstahl am Eigentum seines Vaters war, weshalb er sich einzureden versuchte, er betrachte seine Stiefmutter aufgrund ihrer Jugend als eine Art Schwester. Aber dann wurde ihm klar, obwohl er nicht viel Moraltheologie studiert hatte, dass es auch nicht erlaubt war, eine Schwester in dieser Weise zu lieben – jedenfalls nicht mit diesem Erschauern und dieser heftigen Leidenschaft, die ihm der Anblick Beatrixens einflößte. Darum senkte er errötend den Kopf, und genau in diesem Augenblick streckte Beatrix, der Friedrich seinen Adoptivsohn Baudolino vorstellte (als einen »sonderbaren und liebenswerten Wildfang der Poebene«, wie er sich ausdrückte), zärtlich ihre Hand aus und streichelte ihm erst über die Wange und dann übers Haar.
    Baudolino schwanden beinahe die Sinne, ihm wurde ganz schwarz vor Augen, und die Ohren dröhnten ihm wie beim Läuten der Kirchenglocken zu Ostern. Was ihn wieder zu sich kommen ließ, war die schwere Hand Ottos, der ihm auf den Nacken klopfte und zwischen den Zähnen flüsterte: »Auf die Knie, du Tölpel!« Er besann sich darauf, dass er vor der Kaiserin des Heiligen Römischen Reiches stand, die auch Königin von Italien war, beugte die Knie, und von diesem Moment an benahm er sich untadelig wie ein perfekter Höfling, nur dass er nachts nicht schlafen konnte und, anstatt über dieses unerklärliche Damaskus-Erlebnis zu jubeln, wegen der unerträglichen Glut dieser unbekannten Leidenschaft weinte.
     
    Niketas betrachtete seinen löwenköpfigen

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