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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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zahllosen Aderlässen gemartert, doch – aus Gründen, die jene Koryphäen der Wissenschaft sich nicht zu erklären vermochten – nachdem sie ihm fast alles Blut abgesaugt hatten, ging es ihm noch schlechter, als wenn sie es ihm gelassen hätten.
    Zuerst hatte er Rahewin an sein Bett gerufen, um ihm die Fortführung seiner Geschichte der Taten Friedrichs anzuvertrauen, wobei er ihm sagte, das sei keine schwere Arbeit, er solle einfach die Fakten berichten und dem Kaiser die jeweils passenden Worte aus den antiken Texten in den Mund legen. Dann rief er Baudolino. »Puer dilectissimus« , sagte er, »ich gehe fort. Man könnte auch sagen, ich kehre zurück, und ich bin nicht sicher, welcher Ausdruck der angemessenere ist, so wie ich auch nicht sicher bin, ob meine Geschichte der beiden Reiche oder meine Chronik der Taten Friedrichs die richtigere ist ...« (Du verstehst, Kyrios Niketas, fügte Baudolino ein, das Leben eines Jungen kann gezeichnet sein vom Bekenntnis eines sterbenden Lehrers, der sich zwischen zwei Wahrheiten nicht mehr entscheiden kann.) »Nicht, dass ich froh bin fortzugehen oder zurückzukehren, aber der Herr will es nun einmal so, und seinen Wunsch in Frage zu stellen hieße riskieren, dass er mich auf der Stelle niederstreckt, daher will ich lieber die kurze Zeit nutzen, die er mir noch lässt. Hör zu. Du weißt, dass ich versucht habe, dem Kaiser die politische Lage der Städte jenseits der Alpen zu erklären. Der Kaiser kann nichts anderes tun, als sie seiner Herrschaft zu unterwerfen, aber man kann ihre Unterwerfung auf verschiedene Art erreichen, und vielleicht findet man einen anderen Weg als den der Belagerung und des Massakers. Versuch also du, der du das Ohr des Kaisers hast und immerhin ein Sohn jenes Landes bist, dein Bestes zu tun, um die Ansprüche unseres Herrn mit denen deiner Städte zu versöhnen, so dass möglichst wenige Menschen sterben und alle am Endezufrieden sind. Um das zu erreichen, musst du lernen, nach allen Regeln der Kunst zu folgern und zu argumentieren, und darum habe ich den Kaiser gebeten, dich zum Studium nach Paris zu schicken. Nicht nach Bologna, wo man sich nur mit dem Recht beschäftigt, und ein Bruder Leichtfuß wie du soll seine Nase nicht in die Pandekten stecken, denn mit dem Gesetz darf man nicht lügen. In Paris wirst du Rhetorik studieren und die Dichter lesen. Rhetorik ist die Kunst, auf elegante Weise etwas zu sagen, von dem man nicht sicher weiß, ob es wahr ist, und die Dichter haben die Pflicht, schöne Lügen zu erfinden. Es kann auch nichts schaden, wenn du ein bisschen Theologie studierst, aber ohne ein richtiger Theologe werden zu wollen, denn mit den Dingen des Allmächtigen soll man nicht scherzen. Studiere genug, um hinterher eine gute Figur bei Hofe zu machen, wo du sicherlich ein Ministeriale wirst, das ist der höchste Posten, den ein Bauernsohn anstreben kann, du wirst wie ein Ritter auf gleicher Stufe mit vielen Herren stehen und deinem Adoptivvater treu dienen können. Tu dies alles zu meinem Gedenken, und Jesus vergebe mir, wenn ich ungewollt seine Worte benutzt habe.«
    Dann gab er ein Röcheln von sich und blieb reglos liegen. Baudolino wollte ihm schon die Augen schließen, im Glauben, er habe seinen letzten Seufzer getan, da öffnete Otto noch einmal den Mund und wisperte mit den letzten Atemzügen: »Baudolino, denk an das Reich des Presbyters Johannes. Nur wenn man danach sucht, wird man das Banner der Christenheit über Byzanz und Jerusalem hinaustragen können. Ich habe dich viele Geschichten erfinden hören, die der Kaiser geglaubt hat. Also wenn du keine anderen Nachrichten über jenes Reich hast, erfinde welche. Merk dir, ich bitte dich nicht zu bezeugen, was du für falsch hältst – das wäre Sünde –, sondern falsch zu bezeugen, was du für richtig hältst. Das ist ein gutes Werk, denn es behebt den Mangel an Beweisen für etwas, das zweifellos existiert oder geschehen ist – und zweifellos existiert ein Priesterkönig Johannes jenseits der Länder der Perser und der Armenier, hinter Bakta, Ekbatana, Persepolis, Susa und Arbela, woher die Magier kamen ...Dränge Friedrich nach Osten, denn von dort kommt das Licht, das ihn beleuchten wird als den größten aller Könige ... Zieh den Kaiser aus jenem Sumpf, der sich zwischen Mailand und Rom erstreckt ... er könnte sonst bis zum Tod darin befangen bleiben. Er muss sich fernhalten von einem Reich, in dem auch ein Papst befiehlt. Sonst ist er immer nur zur Hälfte

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