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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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älter als er. Ein Gelehrter von höchstem Rang, hatte er zuerst in Paris bei dem großen Abaelard studiert und sich dann für den Orden der Zisterzienser entschieden, und er war noch jung an Jahren gewesen, als ihm die Würde des Bischofs von Freising verliehen wurde. Nicht dass er dieser noblen Stadt viel Zeit und Kraft gewidmet hätte – erklärte Baudolino seinem Zuhörer –, in der abendländischen Christenheit wurden die Söhne von Adelsfamilien oft zu Bischöfen dieses oder jenes Ortes ernannt, ohne sich wirklich dorthin verfügen zu müssen. Es genügte, die Einkünfte zu kassieren.
    Otto war noch nicht fünfzig, wirkte aber fast doppelt so alt. Immer ein bisschen hüstelnd, geplagt von täglich wechselnden Zipperlein, mal Hüft-, mal Rückenschmerzen, dazu ein Blasensteinleiden, auch etwas triefäugig wegen des vielen Lesens und Schreibens, dem er sowohl im Licht der Sonne wie auch in dem einer Lampe oblag. Überaus reizbar, wie es bei Gichtkranken häufig vorkommt, hatte er bei seinem ersten Gespräch mit Baudolino fast knurrendgesagt: »Du hast dir die Gunst des Kaisers mit allerlei Lügenmärchen erkauft, nicht wahr?«
    »Nein, bestimmt nicht, Meister, ich schwöre es«, hatte Baudolino protestiert. Und darauf Otto: »Ein Lügner, der etwas verneint, bejaht es. Komm mit, ich werde dir alles beibringen, was ich weiß.«
    Woran man sieht, dass Herr Otto im Grunde ein herzensguter Mann war, der Baudolino gleich mochte, weil er in ihm einen hellen Jungen mit rascher Auffassungsgabe erkannte. Aber er hatte auch gleich bemerkt, dass Baudolino nicht nur lautstark verkündete, was er gelernt, sondern auch, was er sich bloß ausgedacht hatte. »Baudolino«, sagte er zu ihm, »du bist ein geborener Lügner.«
    »Warum sagt Ihr so etwas, Meister?«
    »Weil es wahr ist. Aber glaub nicht, dass ich dir deshalb einen Vorwurf mache. Willst du ein Mann der Schrift werden und womöglich eines Tages auch Historien schreiben, so musst du auch lügen und Geschichten erfinden können, sonst wird deine Historia langweilig. Aber du musst es in Maßen tun. Die Welt verurteilt die Lügner, die nichts als Lügen erzählen, selbst über die geringsten Dinge, und sie preist die Poeten, die nur Lügen über die allergrößten Dinge erzählen.«
    Baudolino nahm sich diese Lehren seines Meisters zu Herzen, und in welchem Ausmaß auch dieser ein Lügner war, ging ihm erst langsam auf, als er entdeckte, wie sehr sich Herr Otto beim Übergang von der Chronica sive Historia de duabus civitatibus zu den Gesta Friderici widersprach. Darum kam er zu dem Schluss, dass er, um ein vollendeter Lügner zu werden, sich auch die Reden der anderen anhören musste, um zu sehen, wie die Leute sich abwechselnd von der einen oder der anderen Sache überzeugen ließen. Über die lombardischen Städte zum Beispiel hörte er mehrere Gespräche zwischen dem Kaiser und Bischof Otto mit an.
    »Wie kann man nur so barbarisch sein? Nicht umsonst trugen ihre Könige einst eine Krone aus Eisen!« erregte sich Friedrich. »Hat ihnen denn niemand beigebracht, dass man dem Kaiser Respekt schuldet? Baudolino, ist dir klar, was das heißt? Sie maßen sich die regalia an!«
    »Und was sind diese regalioli , lieber Vater?« Alle lachten, und besonders laut lachte Herr Otto, der noch das alte Latein konnte, das gute, in dem ein regaliolus ein Piephahn war.
    » Regalia, regalia, iura regalia , Baudolino, du Holzkopf«, rief Friedrich. »Das sind die Rechte, die mir zustehen, zum Beispiel die Ernennung der Richter, die Erhebung von Steuern auf öffentlichen Straßen, auf Märkten, auf den schiffbaren Flüssen, das Recht, Münzen zu prägen, und ... und ... und was noch, Rainald?«
    »... die Nutzung der materiellen Erträge aus den Geldbußen und Verurteilungen, aus der Aneignung von Erbschaften ohne legitime Erben, aus der Konfiskation wegen krimineller Tätigkeit oder wegen Schließung inzestuöser Ehen, ebenso die Nutzung der Abgaben von den Erträgen der Bergwerke, der Salinen, der Fischteiche, auch der Prozentsätze aller im öffentlichen Raum gefundenen Schätze«, fuhr Rainald von Dassel fort, der bald darauf zum Kanzler ernannt werden sollte, also zum zweiten Mann des Reiches.
    »Genau. Und all diese Rechte haben sich diese Städte angemaßt. Sie müssen jeden Sinn für das Richtige und das Gute verloren haben, welcher Dämon hat ihnen so den Verstand vernebelt?«
    »Mein lieber Neffe und Kaiser«, unterbrach ihn Otto, »du denkst offenbar an Mailand, an Pavia und

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