Baudolino - Eco, U: Baudolino
König von Frankreich, nachdem jetzt ohnehin die Franken in Jerusalem das große Wort führen. Die Bestimmung der Christenheit und eines jeden Reiches, das sich als heilig und römisch versteht, liegt jenseits der Mauren. Es gibt ein christliches Reich im Osten von Jerusalem und dem Lande der Ungläubigen. Und der Kaiser, dem es gelänge, die beiden Reiche zu vereinigen, würde dadurch das Reich der Ungläubigen und selbst das von Byzanz auf zwei einsame Inseln reduzieren, die verloren im großen Meer seines Ruhmes lägen!«
»Phantasien, lieber Onkel. Bleiben wir mit den Beinen auf dem Boden, wenn's recht ist. Und kehren wir noch einmal zu diesen italienischen Städten zurück. Erkläre mir, liebster Onkel, warum einige von ihnen, wenn ihre Lebenslage doch so begehrenswert ist, sich mit mir gegen die anderen verbünden und nicht alle gemeinsam gegen mich antreten.«
»Jedenfalls bisher noch nicht«, warf Rainald vorsichtig ein.
»Ich wiederhole«, erklärte Otto, »sie wollen ihre Untertanenbeziehung zum Reich nicht verleugnen. Und deshalb bitten sie dich um Hilfe, wenn eine andere Stadt sie unterdrückt, wie es Mailand mit Lodi tut.«
»Aber wenn ihre Lebenslage als Stadt so ideal ist, warum versucht dann jede unentwegt, ihre Nachbarstadt zu unterdrücken, als wollte sie deren Territorium schlucken und sich in ein Reich verwandeln?«
Hier meldete sich Baudolino mit seinem Wissen als Landeskind zu Wort. »Lieber Vater, die Sache ist die, dass dort unten jenseits der Alpen nicht nur die Städte, sondern auch die Dörfer größtes Vergnügen dran haben, sich gegenseitig eins auf die Rübe zu ... aua!« (Herr Otto erzog auch mit Kniffen und Püffen) »ich meine, sich gegenseitig zu demütigen. So ist das bei uns. Man kann den Fremden hassen, aber am meisten hasst man den Nachbarn. Und wenn der Fremde einem hilft, dem Nachbarn eins auszuwischen, dann ist er willkommen.«
»Und warum ist das so?«
»Weil die Leute schlecht sind, aber wie mein Vater immer sagte, die in Asti sind noch schlechter als Barbarossa.«
»Und wer ist Barbarossa?« erboste sich Kaiser Friedrich.
»Du bist das, lieber Vater, dort unten nennen sie dich so, und ich weiß nicht, was daran schlimm sein soll, denn einen roten Bart hast du ja wirklich, und er steht dir sehr gut. Wenn sie etwa hätten sagen wollen, dass du einen kupferfarbenen Bart hast, würdest du dann lieber Barbadirame genannt werden? Ich würde dich genauso lieben und ehren, wenn du einen schwarzen Bart hättest, aber da du nun mal einen roten hast, sehe ich nicht, wieso du solch ein Theatermachen musst, weil sie dich Barbarossa nennen. Was ich dir sagen wollte, wenn du dich nicht wegen dem Bart so aufgeregt hättest: Du kannst ganz ruhig bleiben, denn meiner Meinung nach werden die sich niemals alle gegen dich verbünden. Sie fürchten nämlich, wenn sie siegen, wird einer von ihnen stärker als die anderen. Darum nehmen sie lieber dich. Wenn du sie's nicht allzu teuer bezahlen lässt.«
»Glaub dem Jungen nicht alles«, warf Otto lächelnd ein. »Er ist ein geborener Lügner.«
»O nein«, protestierte Friedrich, »was er über die italienischen Verhältnisse sagt, ist meistens sehr richtig. Zum Beispiel lehrt er uns gerade jetzt, dass unsere einzige Chance bei den italienischen Städten darin besteht, sie möglichst weit auseinanderzudividieren. Nur wissen wir leider nie, wer auf unserer Seite steht und wer auf der anderen.«
»Wenn unser Baudolino recht hat«, sagte Rainald von Dassel spöttisch, »dann hängt die Frage, ob sie mit oder gegen uns sind, nicht von uns ab, sondern davon, welcher Stadt sie gerade eins auswischen wollen.«
Für Baudolino war es ein bisschen schmerzlich zu sehen, dass es diesem großen, starken und mächtigen Friedrich nicht gelang, die Denkweise seiner italienischen Untertanen zu verstehen. Dabei verbrachte er mehr Zeit auf der Apenninenhalbinsel als in seinen deutschen Landen. Er mag meine Landsleute, sagte sich Baudolino, und er begreift nicht, warum sie ihn verraten. Vielleicht ist das der Grund, warum er sie niedermetzelt. Er ist wie ein eifersüchtiger Ehemann.
In den Monaten nach ihrer Rückkehr hatte Baudolino jedoch wenig Gelegenheit, Friedrich zu sehen, da dieser erst einen Reichstag in Regensburg und dann noch einen in Worms vorbereitete. Er musste zwei sehr gefährliche Verwandte bei Laune halten, Heinrich den Löwen, dem er endlich das Herzogtum Bayern gab, und Heinrich Jasomirgott, für den er eigens ein Herzogtum
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