Baudolino - Eco, U: Baudolino
Kaiser. Denk daran, Baudolino ... Der Priester Johannes ... Der Weg nach Osten ...«
»Aber warum sagt Ihr das zu mir, Meister, und nicht zu Rahewin?«
»Weil Rahewin keine Phantasie hat, er kann nur berichten, was er gesehen hat, und manchmal nicht einmal das, weil er nicht versteht, was er gesehen hat. Du dagegen kannst dir etwas vorstellen, was du nicht gesehen hast ... Oh, warum wird es auf einmal so dunkel?«
Baudolino, der ein Lügner war, sagte, er solle sich nicht beunruhigen, es liege daran, dass der Abend komme. Genau zur Mittagsstunde gab Otto ein leises Pfeifen aus der schon rauhen Kehle von sich, und die Augen blieben offen und starr, als betrachte er seinen Priester Johannes auf dem Thron. Baudolino schloss ihm die Augen und vergoss echte Tränen.
Traurig über den Tod seines Lehrers, war Baudolino für einige Monate an den Hof zu Friedrich zurückgekehrt. Zuerst hatte er sich mit dem Gedanken getröstet, dass er dort nicht nur den Kaiser, sondern auch die Kaiserin wiedersehen würde. Dann sah er sie wieder und verfiel in noch größere Traurigkeit. Vergessen wir nicht, dass Baudolino sich zu jener Zeit seinem siebzehnten Lebensjahr näherte, und mochte seine Verliebtheit vorher noch wie die Verwirrung eines Knaben erscheinen, die er selbst kaum verstand, so wurde sie jetzt immer mehr bewusstes Begehren und erlittene Qual.
Um nicht trübsinnig am Hof zu verkümmern, begleitete er Friedrich regelmäßig ins Feld, und dort wurde er Zeuge von Dingen, die ihm ganz und gar nicht gefielen. Die Mailänder hatten Lodi zum zweiten Mal zerstört, beziehungsweise beim ersten Mal hatten sie es geplündert, aus allenHäusern Vieh, Hafer und Hausrat mitgenommen, dann alle Bewohner aus der Stadt getrieben und ihnen gesagt, wenn sie nicht freiwillig gingen, müssten sie alle über die Klinge springen, Frauen, Alte und Kinder, auch die noch in der Wiege lagen. Die Lodianer hatten nur Hunde und Katzen zurückgelassen und waren zu Fuß im Regen auf die Felder hinausgezogen, auch die Herren, die nun keine Pferde mehr hatten, die Frauen mit Kleinkindern auf dem Arm, und manchmal stürzten sie unterwegs oder rutschten in die Gräben. Sie hatten sich in die Gegend zwischen Adda und Serio geflüchtet, wo sie ein paar elende Hütten fanden, in denen sie kreuz und quer übereinander schliefen.
Das alles hatte jedoch den Mailändern noch nicht gereicht: Sie waren wiedergekommen, hatten die wenigen noch in der Stadt Versteckten gefangen genommen, alle Reben und Pflanzen abgehackt und schließlich die Häuser in Brand gesteckt, womit sie auch noch die meisten Hunde und Katzen liquidierten.
Dergleichen Dinge kann ein Kaiser nicht dulden, und darum war Friedrich erneut nach Italien gezogen, mit einer großen Armee aus Burgundern, Lothringern, Böhmen, Ungarn, Schwaben, Franken und vielen anderen mehr. Als erstes hatte er ein neues Lodi in Montegezzone gegründet, dann ging er an die Belagerung Mailands, begeistert unterstützt von Truppen aus Pavia, Cremona, Pisa, Lucca, Florenz und Siena, Vicenza, Treviso, Padua, Ferrara, Ravenna, Modena und so weiter, die sich alle mit dem Kaiser verbündet hatten, um Mailand zu demütigen.
Und sie demütigten es wirklich. Am Ende des Sommers ergab sich die Stadt, und die Mailänder unterzogen sich einem Ritual, durch das sich sogar Baudolino gedemütigt fühlte, obgleich er sonst nichts mit den Mailändern gemein hatte. Die Besiegten zogen in stiller Prozession vor den Sieger wie Leute, die um Gnade flehen, alle barfuß und in Sackleinen gehüllt, auch der Bischof, und die Bewaffneten trugen ihr Schwert um den Hals. Friedrich, nun wieder großmütig geworden, gab den Gedemütigten den Friedenskuss.
Hat sich das nun für die gelohnt, fragte sich Baudolino, erst so großspurig und gewalttätig gegenüber Lodiaufzutreten und dann so beschämt die Hosen runterzulassen? Lohnt es sich, in diesem Lande zu leben, wo alle den Anschein erwecken, sie hätten gelobt, Selbstmord zu begehen, und wo einer dem anderen hilft, sich umzubringen? Ich will weg von hier! – In Wirklichkeit wollte er auch weg von Beatrix, denn irgendwo hatte er gelesen, dass die Liebeskrankheit durch Entfernung von der geliebten Person geheilt werden kann (und er hatte noch nicht andere Bücher gelesen, in denen umgekehrt behauptet wurde, dass es gerade die Entfernung sei, die das Feuer der Leidenschaft anfacht). So ging er zu Friedrich, um ihn an Ottos Rat zu erinnern und sich nach Paris schicken zu lassen.
Er fand den
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