Baudolino - Eco, U: Baudolino
er hatte bei Otto so viel gelernt, dass er sich erlaubte, nicht alle Vorlesungen zu hören, um lieber anderes zu tun, wie wir gleich sehen werden.
Er war mit einem Gefährten aufgebrochen, einem Rittersohn aus Köln, der es vorgezogen hatte, sich anstelle des Kriegshandwerks den freien Künsten zu widmen, nicht ohne den Unmut seines Vaters zu erregen, aber unterstützt von seiner Mutter, die seine Gaben als frühreifer Dichter so unermüdlich und hochtönend pries, dass Baudolino seinen richtigen Namen, falls er ihn je erfahren, vergessen hatte. Er nannte ihn den Poeten, und so taten es später auch alle anderen, die ihn kennenlernten. Baudolino fand bald heraus, dass der Poet in Wahrheit noch nie ein Gedicht geschrieben hatte, sondern immer nur verkündete, dass er es zu tun gedenke. Da er jedoch sehr gekonnt die Gedichte anderer vorzutragen verstand, war auch sein Vater am Ende überzeugt, dass der Junge ein Musensohn sei, und hatte ihn ziehen lassen, ohne ihm allerdings mehr als das Nötigste mitzugeben, da er der irrigen Meinung war, das wenige, was zum Leben in Köln genügte, werde auch für Paris vollauf genügen.
Kaum angelangt, konnte Baudolino es gar nicht erwarten, dem Wunsch der Kaiserin zu gehorchen, und schrieb ihr mehrere Briefe. Anfangs glaubte er noch, dass seine glühende Leidenschaft dadurch ein wenig gemildert würde, aber bald wurde ihm bewusst, wie schmerzlich es war, ihr zu schreiben, ohne ihr sagen zu können, was er wirklichempfand. Er schrieb ihr perfekte und liebenswürdige Briefe, in denen er Paris schilderte, eine Stadt, die schon damals reich an schönen Kirchen war, in der man eine prickelnde Luft atmete, deren Himmel weit und heiter war, außer wenn es regnete, was aber nur ein- bis zweimal am Tag geschah, weshalb sie für einen, der aus dem fast immerwährenden Nebel kam, als ein Ort immerwährenden Frühlings erschien. Es gab einen gewundenen Fluss mit zwei Inseln darin, das Wasser war köstlich zu trinken, und gleich vor den Mauern erstreckten sich balsamisch duftende Orte, zum Beispiel eine Wiese nahe der Abtei von Saint-Germain, wo man herrliche Nachmittage beim Ballspiel verbringen konnte.
Er schilderte auch seine Mühen in den ersten Tagen, als es darum ging, ein Zimmer für sich und seinen Gefährten zu finden, ohne sich von den Vermietern um seine ganze Barschaft bringen zu lassen. Für teures Geld hatten sie schließlich einen ausreichend großen Raum gefunden, möbliert mit einem Tisch, zwei Bänken, Regalen für die Bücher und einer Truhe. Zum Schlafen gab es ein hohes Bett mit einer Flaumdecke aus Straußenfedern und ein niedriges auf Rollen mit einer Flaumdecke aus Gänsefedern, das tagsüber unter das hohe geschoben wurde. Der Brief verschwieg, dass die beiden Zimmergenossen, was die Verteilung der Betten anging, nach kurzem Zögern beschlossen hatten, jeden Abend mittels einer Schachpartie um das bequemere Bett zu spielen, denn Schach galt am Hof als ein nicht sehr empfehlenswertes Spiel.
Ein anderer Brief berichtete, dass sie morgens zu sehr früher Stunde aufstehen mussten, denn die Vorlesungen begannen um sieben und dauerten bis zum späten Nachmittag. Mit einem schönen Stück Brot und einem Becher Wein bereitete man sich darauf vor, den Magistern in einer Art Stall zu lauschen, wo man am Boden auf einer dünnen Lage Stroh saß und es kälter als draußen war. Beatrix war gerührt und empfahl, nicht mit dem Wein zu sparen, sonst fühle ein junger Mann sich den ganzen Tag flau im Magen, und sich einen Diener zu nehmen, nicht nur, damit er die schweren Bücher trage, die selber zu tragen sich für einePerson von Rang nicht schicke, sondern auch, damit er Holz kaufe und rechtzeitig den Kamin im Zimmer anheize, so dass es am Abend schön warm sei. Und für all diese Ausgaben schickte sie vierzig Susaner Solidi, eine Summe, die ausreichte, um einen Ochsen zu kaufen.
Der Diener wurde nicht genommen und das Holz nicht gekauft, da die beiden Federbetten durchaus für die Nacht genügten, und das Geld wurde vernünftiger ausgegeben, da man die Abende in Tavernen verbrachte, die sehr gut geheizt waren und es erlaubten, nach einem Tag voll anstrengender Studien neue Kräfte zu sammeln, indem man Becher leerte und den Kellnerinnen in den Hintern kniff. Außerdem konnte man sich an jenen Orten fröhlicher Labung, zum Beispiel im Silbernen Schild, im Eisernen Kreuz oder in den Drei Kandelabern, zwischen einem Schluck und dem anderen mit Schweine- oder Hühnerpasteten, zwei
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