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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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sich nicht erklären konnte, wieso die Geliebte ihn derart glühend liebte. Wie alle Verliebten wurde Baudolino prahlerisch, wie alle Verliebten schrieb er, eifersüchtig wolle er ganz allein mit der Geliebten ihrer beider Geheimnis genießen, aber zugleich wolle er, dass alle Welt auf dem Laufenden über ihr Glück sei und die überströmende Liebenswürdigkeit seiner Geliebten bestaune.
    So blieb es nicht aus, dass er den Briefwechsel eines Tages seinen Freunden zeigte. Er äußerte sich nur sehr vage und zurückhaltend über das Wie und Woher. Er log nicht, im Gegenteil, er sagte, er zeige ihnen die Briefe gerade weil sie ein Produkt seiner Phantasie seien. Aber die beiden hielten gerade dies für eine Lüge und beneideten ihn sehr um sein Glück. Abdul las die Briefe, als wären sie von seiner Prinzessin, und erregte sich mächtig, als hätte er sie erhalten. Der Poet, der sich nach außen hin betont desinteressiert an diesem literarischen Spiel zeigte (wobei er jedoch vor Neidverging, weil nicht er diese schönen Briefe geschrieben und dadurch noch schönere provoziert hatte), verliebte sich in Ermangelung einer Person zum Verlieben in die Briefe selbst – was nicht verwunderlich sei, kommentierte Niketas lächelnd, denn in der Jugend sei man geneigt, sich in die Liebe an sich zu verlieben.
    Vielleicht um neue Motive für seine Lieder aus ihnen zu ziehen, machte sich Abdul gewissenhafte Kopien der Briefe, um sie nachts in Sankt Viktor zu lesen. Bis er eines Tages entdeckte, dass jemand ihm die Kopien entwendet hatte, und schon fürchtete, irgendein ausschweifender Kanonikus habe sie, nachdem er sich lüstern an ihnen gütlich getan, zwischen die tausend Handschriften der Abtei geworfen. Schaudernd verschloss Baudolino seine Briefsammlung in der Truhe, und seit jenem Tage schrieb er keine Zeile mehr, um die Empfängerin nicht zu kompromittieren.
     
    Da er jedoch seinen Gemütsaufwallungen eines Achtzehnjährigen irgendwie Ausdruck verschaffen musste, begann er nun Gedichte zu schreiben. Hatte er in den Briefen von seiner reinen Liebe gesprochen, so übte er sich nun in jener Trinklieder- und Tavernendichtung, mit der die Scholaren seiner Zeit ihr ausschweifend-ungebundenes Leben feierten, nicht ohne einen leicht melancholischen Hinweis auf die Vergeudung, die sie damit trieben.
    Um Niketas eine Probe seines Talents zu geben, rezitierte er ein paar Verse:
     
    Feror ego veluti – sine nauta navis,
    ut per vias aeris – vaga fertur avis ...
    Quidquid Venus imperat – labor est suavis,
    quae numquam in cordibus – habitat ignavis.
     
    Da er sah, dass Niketas nicht sehr gut Latein verstand, gab er ihm eine ungefähre Übersetzung: »Ich treibe dahin wie ein Boot ohne Steuermann, wie auf luftigen Wegen der Vogel schweift ... Doch was Venus gebietet, ist wonnige Mühe, denn niemals wohnt sie in feigen Seelen ...«
    Als Baudolino diese und andere Verse dem Poeten zeigte, wurde der zuerst gelb vor Neid und dann blass vor Scham, und weinend gestand er die Unfruchtbarkeit seiner Phantasie, verfluchte sein dichterisches Unvermögen und rief, er wäre lieber impotent im organischen Sinn als so unfähig auszudrücken, was er in seinem Herzen empfand – genau das nämlich, was Baudolino so trefflich ausgedrückt habe, weshalb er sich frage, ob er es ihm nicht direkt aus dem Herzen abgelesen habe. Sodann gab er zu bedenken, wie stolz sein Vater gewesen wäre, wenn er erfahren hätte, dass er so schöne Verse verfasste, denn schließlich werde er früher oder später gezwungen sein, vor der Familie und vor der Welt jenen Kurznamen Poet zu rechtfertigen, der ihm zwar schmeichle, aber ihm auch das Gefühl gebe, ein poeta gloriosus zu sein, ein Prahler, der sich eine ihm nicht zustehende Würde anmaßt.
    Baudolino sah ihn so tief verzweifelt, dass er ihm das Pergament in die Hände drückte und sagte, er könne die Gedichte haben und als die seinen ausgeben. Ein kostbares Geschenk, denn wie es sich traf, hatte Baudolino gerade in seinem letzten Brief an Beatrix, um ihr etwas Neues zu erzählen, die Gedichte mitgeschickt und dabei als das Werk eines Freundes ausgegeben. Beatrix hatte sie Friedrich vorgelesen, Rainald von Dassel hatte sie gehört, und da er ein Liebhaber der Poesie war, wenn auch vorwiegend mit Palastintrigen befasst, hatte er gesagt, er würde den Dichter gern in seine Dienste nehmen ...
    Gerade in jenem Jahr war Rainald von Dassel mit der hohen Würde des Erzbischofs von Köln bekleidet worden, und der

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