Baudolino - Eco, U: Baudolino
Gedanke, Hofdichter eines Erzbischofs zu werden, also gewissermaßen Erzdichter, Archipoeta , wie er halb scherzend und halb prahlerisch sagte, gefiel dem Poeten nicht schlecht, auch weil er nicht viel Lust hatte zu studieren, das väterliche Geld in Paris ohnehin nicht genügte und er sich nicht ganz zu Unrecht sagte, dass ein Hofpoet den ganzen Tag lang essen und trinken konnte, ohne sich um anderes kümmern zu müssen.
Nur dass man, um als Hofpoet leben zu können, Gedichte verfassen müsste. Baudolino versprach, ihm wenigstens einDutzend zu schreiben, aber nicht alle auf einmal. »Schau«, erklärte er ihm, »große Dichter sind nicht immer diarrhöisch, manche leiden auch an Verstopfung, und das sind die größten. Du musst den Eindruck erwecken, als würdest du von den Musen gequält und könntest nur hin und wieder ein Distichon absondern. Mit dem, was ich dir geben werde, kommst du schon ein paar Monate hin, aber lass mir Zeit, denn ich bin zwar nicht verstopft, aber auch nicht diarrhöisch. Also schieb die Abreise hinaus und schick Herrn Rainald ab und zu ein paar Verse, um ihn bei Laune zu halten. Fürs erste wird es gut sein, dich mit einer Widmung vorzustellen, einer Eloge auf deinen Wohltäter.«
Er dachte einen Abend lang darüber nach und gab ihm dann einige Verse für Rainald:
Praesul discretissime – veniam te precor,
morte bona morior – dulci nece necor,
meum pectum sauciat – puellarum decor,
et quas tactu nequeo – saltem corde moechor,
was so viel hieß wie: »Hochedler Bischof, ich bitte um Nachsicht, denn ich sterbe einen schönen Tod, und eine süße Wunde rafft mich dahin: Die Schönheit der Mädchen durchbohrt mir das Herz, und jene, die ich nicht berühren kann, besitze ich wenigstens in Gedanken.«
Niketas fand, dass sich die lateinischen Bischöfe an nicht gerade sehr heiligen Liedern ergötzten, aber Baudolino sagte, er müsse sich zweierlei klarmachen: erstens, was ein lateinischer Bischof sei, von dem nicht verlangt werde, auf jeden Fall ein heiliger Mann zu sein, besonders wenn er zugleich auch Kanzler des Reiches war, und zweitens, wer und was Rainald war, nämlich kaum Bischof und vorwiegend Kanzler, gewiss ein Liebhaber der Poesie, aber mehr noch darauf aus, sich die Talente eines Dichters für seine politischen Ziele nutzbar zu machen, was er dann ja auch tun sollte.
»Also ist der Poet mit deinen Versen berühmt geworden?«
»So ist es. Fast ein Jahr lang schickte er Herrn Rainald mit vor Ehrerbietung überfließenden Briefen die Verse, die ich ihm schrieb, und am Ende bestand Rainald darauf, dass dieses ungewöhnliche Talent auf der Stelle an seinen Hof kam. Der Poet machte sich also auf die Reise, ausgerüstet mit einem schönen Vorrat an Versen, mit dem er mindestens ein Jahr überleben konnte, wenn er sich als gebührend verstopft gebärdete. Es war ein Triumph. Ich habe nie verstanden, wie man stolz auf eine Berühmtheit sein kann, die man als Almosen empfangen hat, aber der Poet war's zufrieden.«
»Und ich verstehe nicht, welche Freude du daran haben konntest, deine Schöpfungen einem anderen zugeschrieben zu sehen. Ist es nicht grässlich, wenn ein Vater die Frucht seiner Lenden anderen als Almosen gibt?«
»Die Bestimmung von Trinkliedern ist es, von Mund zu Mund zu gehen, ihr Autor ist glücklich, wenn er hört, dass sie gesungen werden, und es wäre egoistisch, sie nur vorzeigen zu wollen, um den eigenen Ruhm zu vergrößern.«
»Ich glaube nicht, dass du so bescheiden bist. Du bist glücklich darüber, ein weiteres Mal der Fürst der Lüge gewesen zu sein, und rühmst dich dessen, so wie du hoffst, dass eines Tages jemand deine Liebesbriefe zwischen den Handschriften von Sankt Viktor findet und sie wer weiß wem zuschreibt.«
»Ich habe gar nicht die Absicht, bescheiden zu wirken. Es macht mir Vergnügen, Dinge geschehen zu lassen und der einzige zu sein, der weiß, dass sie mein Werk sind.«
»Dein Fall wird nicht besser, mein Freund«, sagte Niketas. »Ich hatte dir nachsichtig unterstellt, du wolltest der Fürst der Lüge sein, und jetzt gibst du mir zu verstehen, du wärest gerne der Herrgott.«
8. Kapitel
Baudolino im Irdischen Paradies
Baudolino studierte in Paris, aber er blieb auf dem Laufenden über die Entwicklung in Italien und Deutschland. Rahewin hatte dem Wunsche Ottos gehorchend die Gesta Friderici fortgesetzt, doch als er ans Ende des vierten Buches gelangt war, hatte er aufgehört, da es ihm blasphemisch
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