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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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schildern, von denen die Legende berichtet. Verstehst du, sie verbrachten den Tag selig lächelnd mit offenen Augen. Gegen Abend fühlten sie sich müde und begannen zu lachen, manchmal leise, manchmal unbändig laut, und dann schliefen sie ein. So kam es, dass ich allmählich begriff, welcher Täuschung sie von Aloadin unterzogen wurden: Sie lagen in Ketten und bildeten sich ein, im Paradies zu leben, und um dieses Glücksgefühl nicht zu verlieren, wurden sie zu willigen Mordwerkzeugen ihres Herrn. Wenn sie dann heil von ihren Unternehmungen zurückkamen, wurden sie wieder in Ketten gelegt, sahen und hörten jedoch erneut, was der grüne Honig ihnen vorgaukelte.«
    »Und du?«
    »Eines Nachts, während alle schliefen, bin ich in denRaum geschlichen, wo die Silbergefäße mit dem grünen Honig aufbewahrt wurden, und habe davon gekostet. Gekostet, sage ich? Zwei Löffel habe ich davon genommen, und sofort fing ich an, wunderbare Dinge zu sehen ...«
    »Schien dir, du wärst in jenem Garten?«
    »Nein, vielleicht haben die von dem Garten geträumt, weil Aloadin ihnen bei der Ankunft davon erzählt hatte. Ich glaube, dieser Honig lässt einen immer das sehen, was man sich im innersten Herzen wünscht. Ich befand mich in der Wüste, oder vielmehr in einer Oase, und ich sah eine prächtige Karawane kommen, Kamele mit Federbüschen und eine Schar von Mauren mit bunten Turbanen, die Trommeln und Zymbeln schlugen. Und hinter ihnen, auf einem von vier Riesen getragenen Thron mit Baldachin, kam sie , die Prinzessin. Ich kann dir nicht schildern, wie sie aussah, sie war so ... wie soll ich sagen ... so strahlend, dass ich nur einen blendenden Glanz in Erinnerung habe ...«
    »Aber wie war ihr Gesicht, war sie schön?«
    »Ihr Gesicht habe ich nicht gesehen, sie war verschleiert.«
    »Aber in wen hast du dich dann verliebt?«
    »In sie, weil ich sie nicht gesehen habe. Ich fühlte auf einmal im Herzen, hier innen, verstehst du, eine unendliche Süße, eine Sehnsucht, die seither nie wieder erloschen ist. Die Karawane zog weiter in Richtung der Dünen, ich begriff, dass die Vision niemals wiederkommen würde, ich sagte mir, dass ich dieser Kreatur hätte folgen müssen, aber gegen Morgen begann ich zu lachen, und damals glaubte ich, es wäre aus Freude, doch es war ein Effekt des grünen Honigs, der eintritt, wenn seine Wirkung allmählich nachlässt. Als ich aufwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel, und fast hätte mich der Eunuch dort gefunden. Da nahm ich mir vor zu fliehen, um die ferne Prinzessin wiederzufinden.«
    »Aber du hattest doch begriffen, dass sie nur eine Vorspiegelung des grünen Honigs war.«
    »Ja, die Vision war eine Vorspiegelung, aber was ich seitdem im innersten Herzen empfand, war keine, daswar echtes Verlangen. Ein Verlangen, das du empfindest, ist keine Illusion, es ist wirklich vorhanden.«
    »Aber es war das Verlangen nach einer Illusion.«
    »Ja, aber ich wollte dieses Verlangen nun nicht mehr verlieren. Es war genug, um mein ganzes Leben auszufüllen.«
     
    Kurz, Abdul hatte schließlich einen Fluchtweg aus der Burg gefunden und war glücklich heimgekehrt zu seiner Familie, die ihn schon verloren gegeben hatte. Sein Vater, der Aloadins Rache fürchtete und ihn daher aus dem Heiligen Land entfernen wollte, schickte ihn nach Paris. Vor seiner Flucht aus der Burg hatte Abdul sich eines jener Silbergefäße mit grünem Honig verschafft, doch wie er Baudolino erklärte, hatte er nie mehr davon gekostet aus Furcht, die verfluchte Substanz könnte ihn wieder in jene Oase versetzen und ihn seine Ekstase immer von neuem erleben lassen. Er wusste nicht, ob er die Erregung aushalten würde. Die Prinzessin hatte er nun im Herzen, und niemand würde sie ihm mehr nehmen können. Lieber ein fernes Ziel ersehnen als ein falsches Erinnerungsbild besitzen.
    Doch mit der Zeit, um Kräfte für seine Lieder zu finden, in denen die Prinzessin anwesend war, anwesend in ihrem Fernsein, hatte er hin und wieder gewagt, ein kleines bisschen von dem Honig zu kosten, nur eine Löffelspitze, gerade so viel, dass die Zunge einen Geschmack verspürte. Er hatte kurze Ekstasen gehabt, und so war es auch an jenem Abend gewesen.
    Abduls Geschichte ging Baudolino im Kopf herum, und ihn reizte die Möglichkeit, eine wenn auch nur kurze Vision zu haben, in der ihm die Kaiserin erscheinen würde. Die kleine Kostprobe konnte ihm Abdul nicht verweigern. Baudolino verspürte nur eine leichte Starre und das Bedürfnis zu lachen. Aber

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