Baudolino - Eco, U: Baudolino
versucht, die rebellische Stadt durch Anzünden zu vernichten, dann hielt er es für besser, die Sache den Italienern zu überlassen, die Mailand heftiger hassten als er. Den Lodianern übertrug er die Zerstörung der Porta Orientale, die damals Porta Renza genannt wurde, den Cremonesern die Schleifung der Porta Romana, den Pavesanern die Stein-für-Stein-Abtragung der Porta Ticinese, den Novaresern die Einebnung der Porta Vercellina, denen aus Como die restlose Beseitigung der Porta Comacina und denen aus dem Seprio und der Martesana die Verwandlung der Porta Nuova in eine Ruine. Lauter Aufgaben, die von den Bürgern jener Städte mit Vergnügen erfüllt wurden, hatten sie doch dem Kaiser sogar viel Geld für das Privileg bezahlt, ihre Abrechnung mit dem besiegten Mailand eigenhändig vornehmen zu dürfen.
Am Tag nach Beginn der Demolierungsarbeiten machte Baudolino einen Erkundungsgang durch die Stadt. An manchen Stellen sah man nichts als eine große Staubwolke. Drang man in diese Staubwolke ein, entdeckte man da und dort Grüppchen von Leuten, die emsig bei der Arbeit waren – hier einige, die eine Fassade mit dicken Seilen umwanden und gemeinsam daran zogen, bis sie zusammenbrach, dort andere Abbruchexperten, die das Dach einer Kirche mit Spitzhacken bearbeiteten, bis es abgedeckt war, und die dann mit Rammböcken auf die Mauern losgingen oder Säulen zu Fall brachten, indem sie Keile unter die Sockel trieben.
Baudolino verbrachte ein paar Tage damit, durch die verwüsteten Straßen zu laufen. Er sah den Campanile der größten Kirche einstürzen, einen schöneren und mächtigeren gab es in ganz Italien nicht. Am eifrigsten waren die Lodianer, die nichts anderes ersehnten, als endlich Rachezu nehmen: Sie hatten als erste ihre Zerstörungsaufgabe erledigt und eilten dann zu den Cremonesern, um ihnen beim Niederreißen der Porta Romana zu helfen. Die Pavesaner schienen jedoch die besten Experten zu sein, sie schlugen nicht einfach wahllos zu, sondern beherrschten ihre Wut: Sie kratzten den Mörtel zwischen den Steinen heraus oder untergruben die Basis der Mauern, so dass der Rest von selber einstürzte.
Kurzum, wer nicht begriff, was da geschah, konnte Mailand für eine fröhliche Baustelle halten, wo jeder fleißig arbeitete mit einem Lied zum Lobe des Herrn auf den Lippen. Nur dass es war, als liefe die Zeit zurück: Es schien, als erhöbe sich aus dem Nichts eine neue Stadt, und in Wahrheit sank eine alte Stadt in Schutt und Staub. Mit diesen Gedanken im Kopf beeilte sich Baudolino am Ostersonntag, als der Kaiser große Festlichkeiten in Pavia anberaumt hatte, die mirabilia urbis Mediolani zu entdecken, solange noch etwas von Mailand da war. So kam es, dass er nach einer Weile auf eine wunderschöne, noch unversehrte Basilika stieß, in deren Nähe gerade einige Pavesaner unermüdlich, wiewohl es ein verordneter Feiertag war, den Abriss eines Stadtpalastes beendeten. Von ihnen erfuhr er, dass es die Basilika des Sankt Eustorgius sei und dass sie am nächsten Tag drankommen werde. »Sie ist viel zu schön, um stehen gelassen zu werden, findest du nicht?« sagte verständnisinnig einer der Demolierer.
Baudolino trat in das Kirchenschiff, in dem es kühl, still und leer war. Jemand hatte bereits die Altäre und die Seitenkapellen geplündert, einige Hunde, die wer weiß woher gekommen waren, hatten den Ort einladend gefunden und durch Bepinkeln der Säulen zu ihrer Bleibe gemacht. Vom Hauptaltar ertönte ein klagendes Muhen. Es war eine schöne Kuh, und Baudolino fragte sich bei ihrem Anblick, was für ein Hass die Zerstörer Mailands beseelen musste, dass sie selbst eine so appetitliche Beute verschmähten, nur um die Stadt so schnell wie möglich dem Erdboden gleichzumachen.
In einer Seitenkapelle vor einem Steinsarkophag erblickte er einen alten Pfarrer, der verzweifelt schluchzte oder eher winselte wie ein verwundetes Tier; sein Gesicht warweißer als das Weiß seiner Augen, und sein spindeldürrer Körper zuckte bei jedem Laut. Baudolino wollte ihm irgendwie helfen und reichte ihm eine Wasserflasche, die er bei sich trug. »Danke, guter Christ«, sagte der Alte, »aber mir bleibt nur noch, auf den Tod zu warten.«
»Sie werden dich nicht töten«, sagte Baudolino, »die Belagerung ist vorbei, der Friede besiegelt, die da draußen wollen nur deine Kirche zerstören, nicht dir das Leben nehmen.«
»Und was ist mein Leben ohne meine Kirche? Aber ich weiß schon, das ist die gerechte Strafe des Himmels,
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