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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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offiziell weihen lassen. In den eigenen Dom einzuziehen und dabei die Reliquien der drei Könige mitzubringen, das wäre wahrhaftig ein Coup. Suchte Rainald nicht fortwährend nach Symbolen der kaiserlichen Macht? Und hier hatte er nicht bloß einen, sondern gleich drei Könige, die zugleich auch noch Priester gewesen waren!
    Baudolino fragte den Pfarrer, ob er die Reliquien einmal sehen könne. Der Alte bat ihn zu helfen, man müsse den Sarkophagdeckel so weit beiseite schieben, dass der Schrein zum Vorschein komme, in dem sie aufbewahrt würden.
    Es war Schwerarbeit, aber es lohnte sich. O Wunder: die Leichname der drei Könige schienen noch lebendig zu sein, obgleich die Haut ausgedörrt und ganz schrumpelig war. Aber sie war nicht braun oder schwarz geworden, wie es sonst bei mumifizierten Leichen vorkommt. Zwei der Magier hatten fast milchweiße Gesichter, einer mit einem langen weißen Bart, der bis zur Brust reichte, unversehrt, wenn auch steif geworden, so dass er wie Zuckerwatte aussah, der andere bartlos. Der dritte war schwarz wie Ebenholz, aber nicht wegen der vergangenen Zeit, sondern weil er auch im Leben ein Schwarzer gewesen sein musste, erschien wie aus Holz geschnitzt, ja er hatte sogar etwas wie eine Kerbe auf der linken Wange. Er trug einen kurzen Bart und hatte fleischige Lippen, die sich aufstülpten und zwei einzelne Zähne zeigten, weiß und bleckend. Alle drei hatten die Augen weit offen, groß und erstaunt, mit Pupillen, die glitzerten wie aus Glas. Sie waren in drei Mäntel gehüllt, einer weiß, einer grün, einer rot, und darunter trugen sie Hosen nach Barbarenart, aber aus purem Damast und mit Perlen verziert.
    Baudolino eilte zurück ins kaiserliche Lager und begab sich unverzüglich zu Rainald. Der Kanzler begriff sofort, welchen Wert die Entdeckung hatte, und sagte: »Es muss alles heimlich und rasch erfolgen. Man wird nicht einen ganzen Schrein abtransportieren können, das ist zu auffällig. Wenn hier jemand mitbekommt, was du gefunden hast, wird er nicht zögern, es uns zu entwenden, um es in seine eigene Stadt zu bringen. Ich lasse drei hölzerne Tragbahren machen, auf denen bringt ihr sie nachts aus der Stadt, und wenn ihr gefragt werdet, sagt, es seien die Leichen dreier tapferer Freunde, die bei der Belagerung gefallen seien. Es genügt, wenn ihr zu dritt seid: du, der Poet und einer von meinen Dienern. Ihr bringt sie an einen sicheren Ort, wo sie fürs erste bleiben können. Bevor ich sie nach Köln mitnehmen kann, müssen glaubwürdige Zeugnisse über die Herkunft der Reliquien und über die Magier selbst produziert werden. Kehre gleich morgen zurück nach Paris, wo du gelehrte Männer kennst, und finde alles über ihre Geschichte heraus, was du nur finden kannst.«
    In der Nacht wurden die drei Könige in eine Krypta der Sankt-Georgs-Kirche außerhalb der Mauern verbracht. Rainald wollte sie sehen, doch als er sie erblickte, brach er in eine Reihe von nicht gerade erzbischöflich anmutenden Verwünschungen aus: »Mit Hosen? Und mit dieser Mütze, die wie eine Narrenkappe aussieht?«
    »Herr Rainald, so waren offenbar damals die Könige aus dem Morgenland gekleidet. Vor Jahren war ich einmal in Ravenna und habe dort ein Mosaik gesehen, in dem die drei Magier auf dem Kleid der Kaiserin Theodora mehr oder weniger so dargestellt waren.«
    »Na ja, das mag vielleicht diese Graeculi in Byzanz überzeugen. Aber stell dir vor, ich präsentiere die Magier in Köln, angezogen wie Jahrmarktszauberer! Zieht sie anders an.«
    »Und wie?« fragte der Poet.
    »Und wie, und wie! Ich lasse dich an meinem Hof essen und trinken wie ein Feudalherr, dafür dass du mir zwei oder drei Gedichte im Jahr schreibst, und du weißt nicht, wie du mir diejenigen anziehen sollst, die als erste unseren Herrn Jesus Christus angebetet haben?! Natürlich so, wie die Leute glauben , dass sie angezogen sein mussten! Als Bischöfe, als Päpste, als Archimandriten, was weiß ich?«
    »Die Hauptkirche und der Bischofspalast sind geplündert worden, vielleicht können wir noch irgendwo heilige Paramente auftreiben. Ich werde es versuchen«, sagte der Poet.
    Es war eine schreckliche Nacht. Die Paramente hatten sich auftreiben lassen, auch etwas, das aussah wie drei Tiaren, aber das Problem war, die drei Mumien zu entkleiden. Die Gesichter mochten ja noch wie lebendig erscheinen, aber die Körper waren – bis auf die völlig vertrockneten Hände – nur noch ein Geflecht aus Weidenruten und Stroh, das bei jedem

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