Baudolino - Eco, U: Baudolino
hatte er sich mit einem Ruck aus dem Griff seiner Häscher befreit, war in eine enge Gasse geschlüpft und hatte so laut zu brüllen begonnen, dass keiner verstand, in welcher Sprache er brüllte, und alle ihn im Zwielicht für einen der Ihren hielten. Doch als er dann auf der Mauer stand, war es klar, dass er sich an die Belagerer wandte, um sie vor einer Falle zu warnen – wobei man nicht recht verstand, wovor er sie schützen wollte, da die draußen Wartenden ja, wenn das Tor nicht aufging, nicht hineinkommen würden und folglich auch nichts riskierten. Aber gleichviel, gerade weil er dumm war, hatte dieser Ditpold Courage, er stand auf der Mauerkrone, schwenkte sein Schwert und forderte alle Alexandriner heraus.Welchselbige – wie es die Regeln einer Belagerung verlangen – nicht zulassen konnten, dass ein Feind die Mauer erreichte, mochte er auch von innen kommen; zudem waren nur wenige über die List informiert, und die anderen sahen plötzlich einen Deutschen mitten unter sich, als ob nichts wäre. So dass einer von ihnen es für gut hielt, Ditpold eine Pike in den Rücken zu rammen und ihn über die Mauerkrone zu werfen.
Als der Bischof von Speyer seinen viel geliebten Gefährten leblos zu Füßen des Torturms stürzen sah, geriet er außer sich und befahl den Angriff. In einer normalen Situation hätten sich die Alexandriner wie üblich verhalten und die Angreifer nur von oben beschossen, doch als die Feinde sich dem Tor näherten, hatte sich bereits das Gerücht verbreitet, dass Sankt Peter erschienen sei, um die Stadt vor einem Hinterhalt zu retten, und dass er einen siegreichen Ausfall anführen werde. Daher hatte Trotti das Missverständnis zu nutzen gedacht und seinen falschen Sankt Peter vorgeschickt, so dass er als erster herauskam und alle anderen nach sich zog.
Kurzum, Baudolinos Lügenmärchen, das die Köpfe der Belagerer hätte vernebeln sollen, vernebelte die der Belagerten: Von mystischem Furor und kriegerischer Verzücktheit ergriffen, warfen sich die Alexandriner wie wilde Tiere den Kaiserlichen entgegen – und dermaßen ungeordnet, gegen alle Regeln der Kriegskunst, dass der Bischof von Speyer und seine Reiter verwirrt stehen blieben und zurückwichen, und es wichen auch jene zurück, welche die Türme mit den genuesischen Armbrustschützen schoben, so dass diese genau am Rand jenes schicksalhaften Dickichts stehen blieben. Für die Alexandriner war es eine Einladung zum Tanz: Sofort schlüpfte Anselmo Medico mit seinen Piacentinern in den Tunnel, der sich nun wirklich als ein Segen erwies, und tauchte im Rücken der Genueser mit einer Gruppe verwegener Kämpfer auf, die lange Stangen trugen, auf die sie brennende Pechballen gepflanzt hatten. Die genuesischen Türme loderten auf wie trockenes Holz im Kamin. Die Armbrustschützen versuchten sich durch Sprünge zu retten, aber sobald sie den Boden berührten,fielen die Alexandriner mit Knüppeln über sie her, einer der Türme neigte sich zur Seite und brach Funken stiebend zusammen inmitten der Reiterei des Bischofs, die Pferde brachen in Panik aus, so dass die Reihen der Kaiserlichen noch mehr durcheinandergerieten, und wer nicht zu Pferde saß, trug seinen Teil zur Verwirrung dadurch bei, dass er zwischen den Reitern umherlief und schrie, Sankt Peter komme, Sankt Peter höchstpersönlich, und vielleicht auch Sankt Paulus, und jemand hatte auch den heiligen Sebastian und sogar den heiligen Tarsicius gesehen – kurzum, der ganze christliche Olymp hatte sich eingestellt, um dieser zutiefst verabscheuenswerten Stadt zur Seite zu springen.
In der Nacht überbrachte jemand dem kaiserlichen Lager, das bereits in tiefer Trauer war, den Leichnam des Bischofs von Speyer, den auf der Flucht ein Pfeil in den Rücken getroffen hatte. Friedrich ließ Baudolino zu sich rufen und fragte ihn, was er mit dieser Geschichte zu tun habe und was er darüber wisse, und Baudolino hätte in den Boden versinken mögen, denn an jenem Abend waren viele tapfere milites gefallen, darunter auch der Anselmo Medico aus Piacenza, und wackere Sergenten und arme Fußsoldaten, und alles wegen seines schönen Planes – der doch alles hätte beenden sollen, ohne dass irgendwem auch nur ein Haar gekrümmt worden wäre. Er warf sich Friedrich zu Füßen und gestand ihm die ganze Wahrheit: dass er es für gut befunden hatte, ihm einen glaubhaften Vorwand zum Abbruch der Belagerung zu liefern, und statt dessen war nun alles ganz anders gelaufen.
»Ich bin ein elender
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