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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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sagte der Guasco, und der Trotti gab ihm recht, indem er sich mit dem Finger an die Stirn tippte, um anzudeuten, dass der Alte wohl nicht mehr alle beisammenhatte. »Und außerdem, wenn wir noch eine lebendige Kuh hätten, würden wir sie sogar roh verspeisen«, fügte der Boidi hinzu.
    »Nicht weil er mein Vater ist, aber die Idee kommt mir gar nicht so abwegig vor«, sagte Baudolino. »Vielleicht habt ihr's ja vergessen, aber eine Kuh haben wir noch, nämlich genau die alte Rosina von meinem Vater. Die Frage ist nur, ob wir, auch wenn wir alle Winkel der Stadt durchkämmen, noch genügend Getreide zusammenkriegen, um das Vieh bis zum Platzen zu mästen.«
    »Die Frage ist, ob ich dir das Vieh dafür gebe, du Vieh!« empörte sich der alte Gagliaudo. »Denn eins ist doch klar: um zu kapieren, dass die Kuh voller Getreide ist, müssen die Kaiserlichen sie nicht nur finden, sondern sie schlachten, und meine liebe Rosina, die haben wir nie geschlachtet, weil sie für mich und für deine Mutter wie eine Tochter ist, die uns der Herr nie geschenkt hat, und darum wird niemand die Rosina berühren. Lieber schicke ich dich zum Schlachter, nachdem du dich dreißig Jahre lang nicht zu Hause hast blicken lassen, während sie immer brav da war, ohne Flausen zu machen.«
    Guasco und die anderen, die eben noch gemeint hatten, die Idee sei einem kranken Hirn entsprungen, waren nun plötzlich, kaum dass Gagliaudo sich gegen sie aussprach, zutiefst überzeugt, dass sie das Beste war, was man sich vorstellen konnte, und redeten sich die Münder fusselig, um dem Alten klarzumachen, dass man angesichts des Schicksals der Stadt auch die eigene Kuh opfern müsse, und dass es unsinnig sei, wenn er sage, lieber würde er Baudolino hinschicken, denn das Bauchaufschlitzen bei Baudolino würde niemanden überzeugen, während das Bauchaufschlitzen bei der Kuh den Barbarossa tatsächlich dazu bringen könne, die Belagerung aufzugeben. Und was das Getreide angehe, davon sei zwar wirklich nicht mehr viel da, aber wenn man alles von überallher zusammenkratze und die Rosina damit vollstopfe, könne es gerade noch reichen, wobei man es ja nicht allzu genau nehmen müsse, denn wenn es einmal im Bauch sei, werde es schwierig sein, noch zu sagen, ob es Weizen oder Spreu war, und man brauche sich auch nicht die Mühe zu machen, vorher die Mehlwürmer oder Schaben rauszulesen, denn in Kriegszeiten fänden die sich auch im Brot.
     
    »Also hör mal, Baudolino«, sagte Niketas, »du willst mir doch nicht erzählen, dass ihr eine solche Albernheit allesamt ernst genommen habt.«
    »Nicht nur wir haben sie ernst genommen, wie du im folgenden sehen wirst, auch der Kaiser hat sie ernst genommen.«
     
    Die Geschichte ging tatsächlich so. Um die dritte Stunde jenes Karsamstags versammelten sich alle Konsuln und Honoratioren der Stadt in einem offenen Scheunenbau, wo eine Kuh lag, die man sich magerer und moribunder nicht vorstellen konnte, die Haut halb kahl, die Vorderbeine zwei dürre Stecken, die Euter dünn wie Ohren, die Ohren wie Zitzen, der Blick stumpf, schlaff sogar die Hörner, der Rest mehr Gerippe als Rumpf, weniger ein Rind als ein Gespenst von Rind, eine Kuh für den Totentanz, liebevoll gepflegt von Baudolinos Mutter, die ihr den Kopf streichelte und zu ihr sagte, im Grund sei's besser so, ihr Leiden werde ein Ende haben, aber erst nach einem guten Mahl, und so habe sie's besser als ihre Besitzer.
    Daneben trafen weiter Säcke mit Getreide und Saatgut ein, die man irgendwo zusammengesucht hatte und die Gagliaudo dem armen Tier mit aufmunternden Worten vors Maul hielt. Aber die Kuh sah inzwischen nur noch mit ächzendem Desinteresse auf die Welt und hatte schon ganz vergessen, was wiederkäuen bedeutete. So dass schließlich einige Freiwillige ihr die Beine festhielten, andere den Kopf, und wieder andere ihr gewaltsam das Maul öffneten, um, während sie ihren Protest schwach hinausmuhte, ihr die Körner in den Schlund zu stopfen, wie man es bei Gänsen macht. Dann, vielleicht aus Selbsterhaltungstrieb oder im Gedenken an bessere Zeiten, begann das Tier mit der Zunge in die gute Gottesgabe zu fahren und, halb aus eigenem Willen, halb mit Hilfe der Umstehenden, die Körner aufzuschlecken.
    Es war kein fröhliches Mahl, und nicht nur einmal schien allen Anwesenden, als sei Rosina gerade dabei, ihre Tierseele Gott zu befehlen, denn sie fraß, als würde sie gebären, zwischen einem Klageruf und dem anderen. Allmählichgewann jedoch ihre

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