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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Lebenskraft die Oberhand, sie erhob sich auf ihre vier Beine und fraß von allein weiter, das Maul direkt in die Säcke tauchend, die man ihr hinhielt. Am Ende war das, was alle sahen, eine sehr seltsame Kuh, extrem hager und melancholisch, die Wirbel- und Rückenknochen so spitz hervorstechend, dass man meinte, sie wollten aus der ledernen Haut heraustreten, aber der Bauch prall gerundet wie bei Wassersüchtigen und so dick, als ob sie mit zehn Kälbchen schwanger sei.
    »Sie kann nicht gehen, sie kann nicht gehen«, sagte der Boidi kopfschüttelnd angesichts dieses traurigen Wunders. »Auch ein Dummkopf sieht doch, dass dies keine fette Kuh ist, sondern nur der Balg einer Kuh, den man vollgestopft hat ...«
    »Und selbst wenn sie jemand für fett hielte«, sagte Guasco, »wie soll man ernsthaft glauben, dass ihr Besitzer sie noch auf die Weide bringt, auf die Gefahr hin, dort seine Habe und sein Leben zu verlieren?«
    »Freunde«, sagte Baudolino, »vergesst nicht, dass die, die sie finden werden, gleich wer sie sein mögen, einen solchen Hunger haben, dass sie nicht lange nachsehen werden, ob sie hier mager und da fett ist.«
    Baudolino hatte recht. Um die neunte Stunde machte Gagliaudo sich mit der Kuh auf den Weg zu einer Wiese, die etwa eine halbe Meile außerhalb der Mauern lag, und kaum war er durchs Tor hinausgegangen, kam aus dem Wald eine Horde von Böhmen, die sicher Vögel jagen wollten, wenn es dort noch lebendige Vögel gegeben hätte. Sie erblickten die Kuh, ohne ihren hungrigen Augen glauben zu wollen, stürzten sich auf Gagliaudo, der sofort beide Hände hob, und schleppten ihn mitsamt dem Tier zu ihrem Lager. Bald hatte sich eine Schar von Kriegern mit eingefallenen Wangen und Stielaugen um sie versammelt, und der armen Rosina wurde sofort die Kehle durchschnitten von einem, der sein Handwerk offensichtlich verstand, denn er tat es mit einem einzigen Schnitt, und in der Zeit, die man braucht, um Amen zu sagen, war Rosina vom Leben zum Tode gebracht. Gagliaudo vergoss echte Tränen, und so kam die Szene allen Anwesenden ganz echt vor.
    Als dem Tier der Bauch aufgeschnitten worden war, geschah, was geschehen musste: Das ganze Körnermahl war so eilig hinuntergeschlungen worden, dass es jetzt auf die Erde prasselte, als ob es noch unversehrt wäre, und allen schien es ganz ohne Zweifel Getreide zu sein. Die Verblüffung war so groß, dass sie den Appetit überwog, und jedenfalls hatte der Hunger den Belagerern ein elementares Urteilsvermögen nicht genommen: Dass in einer belagerten Stadt auch die Kühe so unmäßig prassen konnten, verstieß gegen jedes menschliche und göttliche Gesetz. Ein Sergent unter den hungrig Zuschauenden konnte seinen spontanen Trieb unterdrücken und befand, dass dieses Wunder den Kommandanten zur Kenntnis gebracht werden müsse. Kurz darauf wurde die Nachricht dem Kaiser überbracht, bei dem Baudolino scheinbar gelassen, aber innerlich zitternd vor Spannung auf das Ereignis gewartet hatte.
    Rosinas Kadaver, ein Leintuch mit den herausgeprasselten Körnern und Gagliaudo in Fesseln wurden vor Friedrich gebracht. Tot und zerteilt erschien die Kuh jetzt weder fett noch mager, und das einzige, was man sah, war das ganze Zeug in und außerhalb ihres Bauches. Ein Zeichen, das Friedrich nicht unterschätzte, weshalb er den Bauern als erstes fragte: »Wer bist du, woher kommst du, wem gehört diese Kuh?« Und obwohl Gagliaudo kein Wort verstanden hatte, antwortete er im besten Idiom der Frascheta: Ich weiß nicht, ich war's nicht, ich hab nix damit zu tun, ich bin ganz zufällig da vorbeigekommen, die Kuh seh ich zum ersten Mal, ja, wenn du's mir nicht gesagt hättest, hätt ich gar nicht gewusst, dass es eine Kuh ist. Natürlich verstand auch Friedrich kein Wort, und so wandte er sich an Baudolino: »Du kennst doch diese tierische Sprache, sag mir, was er sagt.«
    Szene zwischen Baudolino und Gagliaudo, Übersetzung: »Er sagt, er wisse nichts von der Kuh, ein reicher Bauer in der Stadt habe sie ihm gegeben, damit er sie auf die Weide bringe, und das sei alles.«
    »Aber zum Teufel, die Kuh ist voller Getreide, frag ihn, wie das kommt?«
    »Er sagt, dass alle Kühe, nachdem sie gefressen haben und bevor sie verdaut haben, voll von dem sind, was sie gefressen haben.«
    »Sag ihm, er soll hier nicht den Dummen spielen, sonst lasse ich ihn hängen, gleich hier an diesem Baum! Will er uns weismachen, in diesem Kuhdorf, in diesem Gauner- und Banditennest geben sie den Kühen immer

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