Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
starb er.
    -329-
    Vor dem gräßlichen Schauspiel geflohen, versuchten unsere Freunde, den Bukoleonpalast zu erreichen, aber als sie nur in seine Nähe kamen, mußten sie feststellen, daß es unmöglich war. Angewidert von den vielen Plünderungen, hatte Isaakios den Palast von seinen Wachen umstellen lassen, und jeder, der die Absperrung zu durchbrechen versuchte, wurde auf der Stelle hingerichtet.
    »Zosimos, du gehst trotzdem«, sagte Baudolino. »Es ist ganz einfach: Du gehst rein, holst die Karte und bringst sie uns.«

»Und wenn sie mir die Kehle durchschneiden?«
    »Wenn du nicht gehst, schneiden wir sie dir durch.«
    »Mein Opfer hätte einen Sinn, wenn die Karte noch im Palast wäre. Aber, um die Wahrheit zu sagen, da ist sie nicht mehr.«
    Baudolino starrte ihn an, als könne er soviel Dreistigkeit gar nicht fassen. »Aha!« brüllte er auf. »Und jetzt sagst du uns endlich die Wahrheit? Und warum hast du uns bisher die ganze Zeit belogen?«
    »Um Zeit zu gewinnen. Zeit zu gewinnen ist keine Sünde. Für den vollkommenen Mönch ist es Sünde, sie zu verlieren.«
    »Am besten, wir bringen ihn gleich hier an Ort und Stelle um«, meldete sich der Poet zu Wort. »Es ist der richtige Augenblick, in dieser allgemeinen Schlächterei wird niemand darauf achten. Entscheiden wir, wer ihn erdrosseln soll, und dann nix wie weg.«
    »Einen Moment«, sagte Zosimos. »Der Herr lehrt uns, wie wir uns der Werke enthalten, die uns nicht frommen. Ich habe gelogen, das ist wahr, aber um ein Wohl zu erreichen.«
    »Was denn für ein Wohl?« schrie Baudolino außer sich vor Wut.
    »Meines«, antwortete Zosimos. »Ich hatte das Recht, mein
    -330-
    Leben zu verteidigen, da ihr es mir nehmen wolltet. Der Mönch muß wie die Cherubim und die Seraphim überall Augen haben, oder - so verstehe ich diesen Spruch der heiligen Väter der Wüste - er muß dem Feind mit Umsicht und Schläue begegnen.«
    »Aber der Feind, von dem deine Vater sprachen, das war der Teufel, nicht wir!« tobte Baudolino noch immer.
    »Vielgestaltig sind die Listen der Dämonen: Sie erscheinen im Traum, sie erzeugen Halluzinationen, sie übertölpeln und täuschen uns, sie verwandeln sich in Engel des Lichts und verschonen uns, um uns eine trügerische Sicherheit
    vorzugaukeln. Was hättet ihr denn an meiner Stelle getan?«
    »Und was wirst du jetzt tun, widerwärtiges Griechlein um dein Leben noch einmal zu retten?«
    »Ich werde euch die Wahrheit sagen, wie es bei mir üblich ist.
    Die Karte des Kosmas Indikopleustes existiert ohne Zweifel, ich habe sie mit diesen meinen Augen gesehen. Wo sie sich jetzt befindet, weiß ich nicht, aber ich schwöre euch, ich habe sie mit allen Einzelheiten hier meinem Kopf...« Er tippte sich an die von der Mähne befreite Stirn. »Ich könnte dir Tagereise für Tagereise die Entfernungen nennen, die uns vom Lande des Priesters Johannes trennen. Nun liegt es auf der Hand, daß ich in dieser Stadt nicht länger bleiben kann und daß auch ihr hier nicht länger verweilen müßt, denn ihr seid ja gekommen um mich zu fassen, und mich habt ihr nun, und um die Karte zu finden, und die habt ihr nicht. Wenn ihr mich umbringt, kriegt ihr sie nie. Wenn ihr mich mitnehmt, dann werde ich, das schwöre ich euch bei allen zwölf heiligen Aposteln, dann werde ich euer Sklave sein und meine Tage damit verbringen, euch einen Weg zu weisen, der euch direkt zum Lande des Priesters führt. Verschont ihr mein Leben, habt ihr nichts zu verlieren, nur einen Mund mehr zu füttern. Tötet ihr mich, verliert ihr alles.
    Entscheidet euch.«
    -331-
    »Dies ist doch der unverschämteste Kerl, der mir je im Leben begegnet ist«, sagte Boron, und die anderen stimmten ihm zu.
    Zosimos wartete schweigend, die Miene zerknirscht. Rabbi Solomon setzte an, etwas zu sagen: »Der Heilige immerdar sei gesegnet...«, doch Baudolino ließ ihn nicht ausreden: »Schluß mit den Sprüchen, dieser Schlaufuchs hat schon genug davon zum besten gegeben. Er ein Schlaufuchs, aber er hat recht. Wir müssen ihn mitnehmen. Sonst kehren wir mit leeren Händen zu Friedrich zurück, und er denkt, wir hätten mit seinem Geld in den Wonnen des Orients geschwelgt. Kehren wir wenigstens mit einem Gefangenen zurück. Du aber, Zosimos, schwörst uns, daß du nie mehr versuchen wirst, uns noch einmal solch einen Streich zu spielen...«
    »Ich schwöre es bei allen zwölf heiligen Aposteln«, sagte Zosimos.
    »Elf, elf, Unseliger!« rief Baudolino und packte ihn am Rock.
    »Wenn du zwölf

Weitere Kostenlose Bücher