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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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über sie wissen, ist von denselben heiligen Vätern überliefert worden, die sie verurteilt hatten, und ehrlich gesagt, ich als Verfasser von Chroniken und Geschichtswerken neige nicht dazu, Worten allzuviel Glauben zu schenken, die ein Feind seinem Feind in den Mund legt.«
    -528-
    Sie hatten noch weitere Begegnungen und viele Gespräche.
    Hypatia dozierte, und Baudolino wünschte sich, daß ihre Lehre allumfassend und nie zu Ende wäre, um immer weiter an ihren Lippen hängen zu können. Sie antwortete auf alle seine Fragen mit furchtloser Offenheit, ohne je zu erröten; nichts war für sie Gegenstand irgendwelcher unreinen Verbote, alles war
    transparent.
    Schließlich wagte es Baudolino, sie zu fragen, wie sich die Hypatien seit so vielen Jahrhunderten fortpflanzten. Sie antwortete, jedes Jahr wähle die Große Mutter einige von ihnen aus, die gebären sollten, und begleite sie zu den Befruchtern.
    Über diese äußerte sie sich sehr vage, natürlich hatte sie niemals einen von ihnen gesehen, aber auch die dem Ritus geweihten Hypatien hätten sie niemals gesehen. Sie würden bei Nacht an einen unbekannten Ort geführt, bekämen dort einen Trank verabreicht, der sie bewußt- und gefühllos machte, würden befruchtet, kehrten danach in ihre Gemeinschaft zurück, und diejenigen, die schwanger geworden waren, würden von ihren Genossinnen bis zur Niederkunft umsorgt und gepflegt.
    War die Frucht ihres Leibes ein männliches Kind, so wurde es den Befruchtern zurückgegeben, war es ein weibliches, blieb es in der Gemeinschaft und wurde als eine Hypatia erzogen.
    »Sich fleischlich vereinigen«, sagte Hypatia, »wie es die Tiere tun, die keine Seele haben, heißt nur, den Irrtum der Schöpfung vervielfältigen. Die Hypatien, die zu den Befruchtern geschickt werden, nehmen diese Erniedrigung nur hin, weil wir
    weiterexistieren müssen, um die Welt von diesem Irrtum zu erlösen. Diejenigen von uns, die die Befruchtung erlitten haben, erinnern sich an nichts von diesem Vorgang, der, wäre er nicht im Geiste des Opfers vollzogen worden, unsere Apathie
    beeinträchtigt hätte...«
    »Was ist eure Apathie?«
    -529-
    »Das, worin jede Hypatia lebt und glücklich ist.«
    »Und wieso Irrtum der Schöpfung?«
    »Aber Baudolino«, sagte sie mit erstauntem Lachen, »scheint dir, daß die Welt vollkommen ist? Schau diese Blume hier, schau, wie zart der Stengel ist, schau dieses poröse Auge, das in der Blüte triumphiert, schau, wie gleichmäßig die Blütenblätter sind, alle ein wenig gebogen, um morgens den Tau aufzufangen wie in einer Schale, schau, mit welcher Freude sie sich diesem Insekt darbietet, das ihre Lymphe saugt... Ist das nicht schön?«
    »Ja, es ist wirklich schön. Aber ist es denn nicht gerade schön, daß es schön ist? Ist es nicht ein Wunder Gottes?«
    »Baudolino, morgen früh ist diese Blume tot, in zwei Tagen ist sie verfault. Komm mit.« Sie führte ihn ins Unterholz und zeigte ihm einen roten Pilz mit flammendgelben Streifen.
    »Ist der schön?« fragte sie.
    »Er ist schön.«
    »Er ist giftig. Wer davon ißt, stirbt. Findest du eine Schöpfung vollkommen, in der der Tod lauert? Weißt du, daß auch ich eines Tages sterben werde, daß auch ich verfaulen müßte, wäre ich nicht der Erlösung Gottes geweiht?«
    »Der Erlösung Gottes? Erkläre mir das...«
    »Du bist doch wohl nicht auch ein Christ, Baudolino, wie diese Monster von Pndapetzim? Die Christen, die Hypatia getötet haben, glaubten an eine grausame Gottheit, die die Welt geschaffen hatte und mit ihr den Tod, das Leiden und,
    schlimmer noch als das physische Leiden, das der Seele. Die geschaffenen Wesen sind fähig, ihresgleichen zu hassen, zu töten und leiden zu lassen. Du wirst doch nicht glauben, daß ein gerechter Gott seine Kinder in solch ein Elend gestürzt haben kann...«
    -530-
    »Aber es sind die ungerechten Menschen, die solche Dinge tun, und Gott bestraft sie dafür und rettet die guten.«
    »Und warum sollte dieser Gott uns geschaffen haben, um uns dann der Gefahr der Verdammnis auszusetzen?«
    »Nun, weil das höchste Gut die Freiheit ist, Gutes oder Böses zu tun, und um seinen Kindern dieses höchste Gut zu geben, muß Gott es hinnehmen, daß einige von ihnen schlechten
    Gebrauch davon machen.«
    »Warum sagst du, daß die Freiheit ein Gut ist?«
    »Weil, wenn man sie dir wegnimmt, wenn man dich in Ketten legt, wenn man dich nicht machen läßt, was du möchtest, dann leidest du, und deshalb ist das Fehlen von Freiheit ein

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