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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Übel.«
    »Kannst du deinen Kopf so weit umdrehen, daß du dich von hinten siehst, ich meine, daß du wirklich deinen Rücken betrachtest? Kannst du in diesen See gehen und bis heute abend unter Wasser bleiben, ich meine richtig mit dem Kopf unter Wasser, ohne ihn hinauszustrecken?« Sie lachte.
    »Nein, weil ich mir den Hals brechen würde, wenn ich den Kopf ganz umzudrehen versuchte, und weil ich unter Wasser nicht atmen könnte. Gott hat mich mit diesen Einschränkungen erschaffen, um zu verhindern, daß ich mir ein Leid antue.«
    »Dann sagst du also, daß er dir einige Freiheiten in bester Absicht genommen hat, habe ich recht?«
    »Aber er hat sie mir genommen, damit ich nicht leide.«
    »Und warum hat er dir dann die Freiheit gegeben, zwischen Gut und Böse zu wählen, so daß du am Ende Gefahr läufst, die ewigen Strafen zu erleiden?«
    »Gott hat uns die Freiheit gegeben in der Annahme, daß wir sie richtig gebrauchen. Aber dann ist die Rebellion der Engel gekommen, die das Böse in die Welt gebracht hat, und es war
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    die Schlange, die Eva versucht hat, so daß wir heute alle an der Ursünde leiden. Daran ist Gott nicht schuld.«
    »Und wer hat die rebellischen Engel und die Schlange
    geschaffen?«
    »Gott natürlich, aber bevor sie zu rebellieren begannen, waren sie gut, so wie er sie geschaffen hatte.«
    »Also haben sie das Böse nicht geschaffen?«
    »Nein, sie haben es getan, aber es hat schon vorher existiert, als Möglichkeit, sich gegen Gott aufzulehnen.«
    »Also hat Gott das Böse geschaffen?«
    »Hypatia, du bist klug, sensibel, scharfsinnig, du verstehst eine disputatio viel besser zu führen als ich, obwohl ich in Paris studiert habe, aber sag mir nicht solche Sachen über den lieben Gott. Er kann das Böse nicht gewollt haben!«
    »Sicher nicht, ein Gott, der das Böse will, wäre das Gegenteil eines Gottes.«
    »Also was?«
    »Also hat Gott das Böse neben sich vorgefunden, ohne es zu wollen, als den dunklen Teil seiner selbst.«
    »Aber Gott ist das vollkommenste Wesen!«
    »Sicher, Baudolino, Gott ist das Vollkommenste, was es geben kann, aber weißt du, wie mühsam es ist, vollkommen zu sein?
    Jetzt will ich dir sagen, Baudolino, wer Gott ist, oder vielmehr, was er nicht ist.«
    Sie fürchtete sich wirklich vor nichts. Sie sagte: »Gott ist der Eine und Einzige, und er ist derart vollkommen, daß er keinem der Dinge gleicht, die es gibt, und keinem derer, die es nicht gibt. Du kannst ihn nicht beschreiben, indem du deinen
    menschlichen Verstand gebrauchst, als ob er einer wäre, der sich
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    erzürnt, wenn du böse bist, oder der sich aus Güte mit dir beschäftigt, einer, der Mund, Ohren, Gesicht oder Flügel hat, oder der Geist, Vater oder Sohn ist, auch nicht seiner selbst. Von dem Einzigen kannst du nicht sagen, daß er da ist oder nicht da ist, er umfaßt alles, aber er ist nichts davon. Du kannst ihn nur durch die Nichtähnlichkeit benennen, denn es ist sinnlos, ihn Güte, Schönheit, Weisheit, Liebe, Kraft oder Gerechtigkeit zu nennen, es wäre dasselbe, wie ihn Bär, Panther, Schlange, Drache oder Greif zu nennen, denn nichts von dem, was du über ihn sagst, kann ihn jemals beschreiben. Gott ist nicht Körper, nicht Gestalt, nicht Form, er hat keine Quantität, keine Schwere oder Leichtigkeit, er sieht nicht, hört nicht, kennt keine Unordnung und Verwirrung, ist nicht Seele, nicht Intelligenz, Imagination, Meinung, Gedanke, Wort, Zahl, Ordnung, Größe, er ist nicht Gleichheit und nicht Ungleichheit, nicht Zeit und nicht Ewigkeit, er ist ein Wille ohne Ziel. Versuche das zu begreifen, Baudolino, Gott ist eine Lampe ohne Flamme, eine Flamme ohne Feuer, ein Feuer ohne Wärme, ein dunkles Licht, ein schweigendes Dröhnen, ein blinder Blitz, ein leuchtender Nebeldunst, ein Strahl der eigenen Finsternis, ein sich ausdehnender Kreis, der sich in sein Zentrum zusammenzieht, eine einsame Vielfalt, er ist... er ist...« Sie suchte nach einem Beispiel, das sie beide überzeugte, sie, die Lehrerin, und ihn, den Schüler. »Er ist ein Raum, der nicht da ist, in dem du und ich dasselbe sind, so wie heute in dieser Zeit, die nicht vergeht.«
    Eine leichte Flamme zuckte über ihre Wange. Sie schwieg, erschrocken über dieses unangemessene Beispiel, aber wie kann man etwas als unangemessen verurteilen, das nur ein weiteres Element in einer Liste von Unangemessenheiten ist? Baudolino spürte, wie ihm die gleiche Flamme durch die Brust schoß, doch da er fürchtete, sie verlegen zu machen,

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