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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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einem leichten Feuer durchzogen. Ich sah ihre Brust im Profil, weich und zart wie die Brust einer Taube.
    Ich war reiner Blick geworden. Ich sah etwas Antikes, ich wußte, daß ich nicht etwas Schönes sah, sondern die Schönheit selbst als heiligen Gedanken Gottes. Ich entdeckte, daß die Vollkommenheit, wenn man sie einmal erblickt und nur dieses eine Mal, etwas Leichtes, ja Schwereloses ist. Ich betrachtete die Gestalt aus der Ferne, aber ich spürte, daß ich jenes Bild nicht zu fassen vermochte, wie es vorkommt, wenn man in
    fortgeschrittenem Alter ist und einem scheint, daß man klare Zeichen auf einem Pergament entdeckt, aber man weiß, daß sie, sobald man näher hinschaut, sich verwischen und man nie das Geheimnis wird lesen können, das dieses Pergament einem versprach - oder wie in den Träumen, wenn einem etwas
    erscheint, was man gerne hätte, und man die Hand danach ausstreckt, aber die Finger im Leeren bewegt und nichts zu fassen bekommt.«
    »Ich beneide dich um jenen Zauber.«
    »Um ihn nicht zu brechen, hatte ich mich in eine Statue verwandelt.«
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    33. KAPITEL

    BAUDOLINO BEGEGNET
    HYPATIA
    Der Zauber war jedoch bald vorbei. Mit dem Instinkt einer Kreatur des Waldes hatte sie Baudolinos Anwesenheit bemerkt und sich zu ihm umgedreht. In ihrem Blick lag keine Spur von Erschrecken, nur Staunen.
    »Wer bist du?« fragte sie auf Griechisch. Da er nicht
    antwortete, ging sie beherzt auf ihn zu und musterte ihn aus der Nähe, ohne Scheu und ohne Arg, und auch ihre Augen waren wie ihre Haare von wechselnder Farbe. Das Einhorn stellte sich neben sie und senkte den Kopf, als wollte es seine prächtige Waffe schützend vor seine Herrin halten.
    »Du bist nicht aus Pndapetzim«, sagte sie. »Du bist weder ein Eunuche noch ein Monster, du bist... ein Mensch!« Offenbar erkannte sie einen Menschen so, wie er das Einhorn erkannt hatte: als etwas, von dem sie oft hatte reden hören, ohne es je gesehen zu haben. »Du bist schön, ein Mensch ist etwas
    Schönes, darf ich dich anfassen?« Sie streckte die Hand aus, strich ihm mit zarten Fingern über den Bart und berührte die Narbe an seiner Wange, wie damals die Kaiserin Beatrix. »War das eine Verletzung, bist du einer von jenen Menschen, die Krieg führen? Was ist das, was du da am Gürtel hast?«
    »Ein Schwert«, antwortete Baudolino, »aber ich benutze es nur zur Verteidigung gegen wilde Tiere, ich bin keiner, der Krieg führt. Mein Name ist Baudolino, ich komme aus den Ländern
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    der sinkenden Sonne, von dort hinten«, er deutete vage nach Westen und merkte, daß seine Hand zitterte. »Und wer bist du?«
    »Ich bin eine Hypatia«, sagte sie, belustigt, eine so naive Frage zu hören, und lachte, wodurch sie noch schöner wurde. Dann, als ihr einfiel, daß sie mit einem Fremden sprach, erklärte sie:
    »In diesem Wald, hinter diesen Bäumen, leben nur wir
    Hypatien. Hast du keine Angst vor mir, wie die in Pndapetzim?«
    Diesmal war es an Baudolino zu lächeln: Sie fürchtete, daß er Angst vor ihr habe! »Kommst du oft hierher?« fragte er. »Nicht immer«, antwortete sie. »Die Große Mutter will nicht, daß wir allein aus dem Wald gehen. Aber der See ist so schön, und Akazio beschützt mich«, dabei deutete sie auf das Einhorn.
    Dann fügte sie mit einem besorgten Blick hinzu: »Es ist spät.
    Ich darf nicht so lange fortbleiben. Ich dürfte auch nicht den Leuten aus Pndapetzim begegnen, wenn sie sich hierher trauten.
    Aber du bist keiner von ihnen, du bist ein Mensch, und niemand hat mir verboten, mit Menschen zu reden.«
    »Ich komme morgen wieder«, sagte Baudolino, »aber wenn
    die Sonne hoch am Himmel steht. Wirst du da sein?«
    »Ich weiß nicht«, sagte die Hypatia verwirrt, »vielleicht«, und verschwand lautlos zwischen den Bäumen.
    In jener Nacht schlief Baudolino nicht, er hatte schon soviel geträumt - sagte er sich -, daß es genügte, sich sein ganzes Leben lang an diesen einen Traum zu erinnern. Aber am
    nächsten Tag, als die Sonne hoch am Himmel stand, nahm er sein Pferd und ritt wieder zu dem See.
    Er wartete bis zum Abend, ohne jemanden zu sehen.
    Enttäuscht kehrte er nach Hause zurück, und an der
    Stadtgrenze traf er auf eine Gruppe Skiapoden, die mit dem Blasrohr übten. Unter ihnen war Gavagai, der zu ihm sagte: »Du schau!« Er hob das Rohr hoch, schoß einen Pfeil ab und traf
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    einen Vogel, der nicht weit von ihnen zu Boden stürzte. »Ich großer Krieger«, sagte Gavagai, »wenn Weißer Hunne kommen, ich ihn

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