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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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vernünftig. »Überlegt doch mal, wie viele Reliquien es geben kannte. Zum Beispiel die zwölf Körbe der
    wunderbaren Vermehrung der Brote und Fische. Körbe gibt es
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    überall, man muß sie nur ein bißchen dreckig machen, daß sie alt aussehen. Oder die Axt, mit der Noah die Arche gebaut hat, es wird doch wohl noch irgendwo eine alte Axt geben, die unsere Genueser weggeworfen haben, weil sie stumpf geworden ist.«
    »Das ist keine schlechte Idee«, erwärmte sich der Boidi. »Geh auf die Friedhöfe und finde den Unterkiefer des Apostels Paulus, nicht den Kopf, sondern den linken Arm Johannes' des Täufers und mehr von der Sorte: die Reste der heiligen Agathe, des heiligen Lazarus, der Propheten Daniel, Samuel und Jesaja, den Schädel der heiligen Helena, ein Stück vom Kopf des Apostels Philippus.«
    »Wenn's darum geht«, sagte Pevere mitgerissen von der Idee,
    »da brauch ich bloß dort unten ein bißchen zu wühlen, und im Nu finde ich euch ein Stück von der Krippe in Bethlehem, ein ganz kleines, bei dem man nicht genau weiß, wo es herkommt.«
    »Ja, machen wir nie gesehene Reliquien«, sagte der Poet,
    »aber machen wir auch die, die es schon gibt, denn von denen reden die Leute, und der Preis steigt täglich.«
    Das Haus der Genueser verwandelte sich für eine Woche in eine rührige Werkstatt. Der Boidi stolperte im Sägemehl über einen Nagel vom Heiligen Kreuz, Boiamondo band sich nach einer Nacht voll gräßlicher Schmerzen einen Faden um einen kariösen Schneidezahn, zog heftig daran, und schon hatte er einen Zahn der heiligen Agathe, Grillo ließ Brot in der Sonne trocknen und tat Krümel davon in Kästchen aus altem Holz, die Taraburlo soeben gefertigt hatte. Pevere hatte ihnen die Körbe der wundersam vermehrten Brote und Fische ausgeredet, denn nach einem solchen Wunder hatten die Leute, meinte er, die Körbe doch sicher unter sich aufgeteilt, so daß nicht einmal Konstantin sie wieder hätte zusammensetzen können. Nur einen davon zu verkaufen mache keinen guten Eindruck, und auf jeden Fall würde es schwierig sein, ihn heimlich von Hand zu
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    Hand weiterzureichen, denn wenn Jesus damit so viele
    Menschen gespeist hatte, konnte es sich nicht um ein Körbchen handeln, das man unter dem Mantel verstecken kann. Na schön, lassen wir die Körbe weg, meinte der Poet, aber Noahs Axt, die findest du mir. Warum nicht, sagte Pevere, hier hast du eine mit einer Klinge, die schon fast eine Säge ist, und mit einem schon ganz verkohlten Griff.
    Danach verkleideten sich unsere Freunde als armenische
    Händler (die Genueser waren inzwischen bereit, die
    Unternehmung zu finanzieren) und zogen mit
    Verschwörermiene durch Tavernen und Feldlager der Pilger, hier ein halbes Wort fallenlassend, dort auf die Schwierigkeiten der Sache hinweisend, den Preis in die Höhe treibend, weil sie schließlich ihr Leben riskierten, und dergleichen mehr.
    Eines Abends sagte der Boidi, er habe einen Ritter aus
    Montferrat gefunden, der sich für Noahs Axt interessierte, aber er wolle sicher sein, daß es die echte war. »Na schön«, sagte Baudolino, »gehen wir zu Noah und bitten ihn um eine
    eidesstattliche Erklärung mit Siegel.«
    »Konnte Noah denn schreiben?« fragte Boron.
    »Noah konnte sich bloß die Hucke vollaufen lassen«, sagte der Boidi. »Er muß ganz schön blau gewesen sein, als er die Tiere in die Arche lud: Bei den Mücken hat er's übertrieben, und die Einhörner hat er völlig vergessen, weswegen man heute keine mehr sieht.«
    »Man sieht noch welche, man sieht schon noch welche...«, murmelte Baudolino, der plötzlich seine gute Laune verloren hatte.
    Pevere sagte, er habe auf seinen Reisen ein bißchen die Schrift der Juden erlernt und könne mit einem Messer ein paar von ihren Krakeln auf den Stiel der Axt ritzen. »Noah war doch Jude, oder?« Klar, Jude, bestätigten die Freunde. Armer
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    Solomon, ein Glück, daß er nicht mehr da war, wie hätte er gelitten! Aber auf diese Weise gelang es dem Boidi am Ende tatsächlich, die Axt an den Mann zu bringen.
    An manchen Tagen war es schwierig, Käufer zu finden, weil die Stadt allmählich in Aufruhr geriet und die Pilger
    überraschend ins Lager zurückgerufen wurden, um dort auf weitere Befehle zu warten. So hieß es zum Beispiel,
    Murtzuphlos habe Philea angegriffen, unten an der Küste, die Pilger seien kompakt dazwischengegangen, es sei zu einer Schlacht gekommen oder jedenfalls zu einem Scharmützel, Murtzuphlos habe eine schöne Schlappe

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