Baudolino
genuesischen Freunde gibt«, sagte Baudolino. »Gehen wir sie suchen.«
»Ihr werdet sehen, unsere Täuferköpfe werden uns wieder zugute kommen«, sagte der Poet, der mit einem Schlag verjüngt schien. »Wir sind wieder unter Christen. Wir haben Pndapetzim verloren, aber wir könnten Konstantinopel erobern.«
»Er wußte nicht«, kommentierte Niketas mit einem traurigen Lächeln, »daß schon andere Christen dabei waren, es zu tun.«
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37. KAPITEL
BAUDOLINO BEREICHERT DIE
SCHÄTZE VON BYZANZ
»Kaum hatten wir versucht, das Goldene Horn zu überqueren und die Stadt zu betreten, begriffen wir sofort, daß wir uns in der sonderbarsten Situation befanden, die wir je erlebt hatten. Es war keine belagerte Stadt, denn die Feinde waren, obwohl ihre Schiffe noch auf der Reede lagen, in Pera einquartiert, und viele von ihnen gingen in der Stadt umher. Es war aber auch keine eroberte Stadt, denn neben den Invasoren mit dem Kreuz auf der Brust patrouillierten auch die Bewaffneten des Kaisers durch die Straßen. Mit einem Wort, die Kreuzpilger waren in
Konstantinopel, aber Konstantinopel gehörte nicht ihnen. Und als wir meine genuesischen Freunde erreichten, dieselben, bei denen auch du gewohnt hast, da konnten auch sie nicht so recht erklären, was geschehen war, noch was womöglich geschehen würde.«
»Das war auch für uns nicht leicht zu verstehen«, sagte Niketas mit einem resignierten Seufzer. »Und doch werde ich eines Tages die Geschichte dieser Monate schreiben müssen.
Nach dem schlimmen Ende der Expedition zur Rückeroberung Jerusalems, die dein Friedrich und die Könige von Frankreich und England versucht hatten, wollten die Lateiner es zehn Jahre später noch einmal versuchen, diesmal unter der Führung großer Fürsten wie Balduin von Flandern oder Bonifaz von Montferrat.
Aber sie brauchten eine Flotte, und die ließen sie sich von den Venezianern bauen. Ich habe dich höhnisch über den Geiz der
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Genueser reden hören, aber verglichen mit den Venezianern sind die Genueser die Großzügigkeit in Person. Die Lateiner hatten ihre Schiffe bekommen, aber sie hatten kein Geld, um sie zu bezahlen, und da verlangte der venezianische Doge Enrico Dandolo (das Schicksal wollte, daß auch er blind war, aber unter den vielen Blinden dieser Geschichte war er der einzige Weitblickende), daß sie zur Begleichung ihrer Schuld, bevor sie ins Heilige Land fuhren, für ihn die dalmatinische Hafenstadt Jadara oder Zara, wie ihr sie nennt, unterwarfen. Die Pilger willigten ein, und das war ihr erstes Verbrechen, denn man nimmt nicht das Kreuz, um dann eine Stadt für die Venezianer zu erobern. Unterdessen hatte Alexios, der Bruder jenes Isaakios Angelos, der Andronikos abgesetzt und selber die Macht
ergriffen hatte, seinen Bruder blenden lassen und ans Ufer des Meeres verbannt, um sich seinerseits als Basileus zu
proklamieren.«
»Das hatten mir die Genueser sofort erzählt. Es war eine wirre Geschichte, denn Isaakios' Bruder war Alexios III. geworden, aber es gab auch einen Alexios, der Isaakios' Sohn war: Er hatte fliehen können und war nach Zara gegangen, das inzwischen fest in venezianischer Hand war, um die lateinischen Pilger zu bitten, ihm auf den Thron seines Vaters zu verhelfen, wofür er ihnen seine Hilfe bei der Eroberung des Heiligen Landes versprach.«
»Man kann leicht etwas versprechen, das man noch nicht hat.
Alexios III. hätte im übrigen begreifen müssen, daß sein Reich in Gefahr schwebte. Aber obgleich er seine Augen noch hatte, war er verblendet von der Trägheit und Korruption, die ihn umgab. Stell dir vor, einmal wollte er weitere Kriegsschiffe bauen lassen, aber die Waldhüter der kaiserlichen Wälder erlaubten nicht, daß Bäume für das Bauholz gefällt wurden.
Andererseits hatte Michael Stryphnos, ein General der Armee, bereits Segel und Taue, Steuerruder und andere Teile der
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vorhandenen Schiffe verschachert, um seine Kassen zu füllen.
Unterdessen war der junge Alexios in Zara von der dortigen Bevölkerung als Kaiser von Byzanz begrüßt worden, und im Juni des vorigen Jahres erschienen die Lateiner dann hier vor der Stadt. Hundertzehn Galeeren und siebzig Segelschiffe, die tausend Ritter und dreißigtausend Fußsoldaten transportierten, mit den Schilden an den Seiten und den Fahnen im Wind und den Bannern auf den Kastellen, fuhren wie bei einer Parade in den Sankt-Georgs-Arm ein, mit Trommeln und Trompeten, und die Unseren standen gaffend auf den Mauern. Nur einige
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