Bauern, Bonzen und Bomben
über die Einfassung steigt, langsam mit Genuß den Fuß in ein Geraniumbeet setzt, weitergeht, sorgfältig die Blumen zermatschend, und mit einem höhnischen Grinsen hinter |185| dem Sockel verschwindet, als wolle er dort, unter den Augen der Polizei, aus den Hosen.
Ich kann das nicht mehr, denkt Frerksen verzweifelt. Ich halte das nicht mehr aus. Das ist nicht menschlich. Über die Kraft. Wäre ich doch fünf Minuten später von Haus fort. Wo bleiben die Leute?
7
Sie kommen schon.
Im Laufschritt traben über zwanzig Blaue vom Bahnhof her. Auf die ersten verwirrten Nachrichten hat Polizeimeister Kallene alles an Leuten zusammengeholt, was im nördlichen Stadtteil Dienst machte.
Aber auch die Bauern sind nahe. Hundert Meter, achtzig Meter ist der Zug nur noch entfernt, in Achterreihen geordnet. Die schwarze Fahne an der Spitze, immer noch ohne Musik, kommen sie angerückt.
Polizeimeister Kallene macht Meldung, aber Frerksen hört nicht zu. »Die Bauern haben uns überfallen. Ihre Kollegen sind niedergeschlagen worden. Jetzt muß die Fahne geholt werden. Sie ist beschlagnahmt. Sie, Soldin, Meierfeld, Geier haben die Fahne zu holen. Die andern helfen.«
Er sieht noch einmal die kurze Strecke, die ihn von der Zugspitze trennt. Von der erhöhten Verkehrsinsel springt er hinunter auf das Pflaster. »Los, Leute! Los!«
Er hebt die Hände. Waffenlos läuft er gegen den Trupp, seine Leute neben ihm, schon vor ihm. Manche haben den erhobenen Arm des Führers für ein Zeichen zum Säbelziehen gehalten, im Laufen bemühen sie sich, die Waffe – ungewohnte Arbeit – aus der Scheide zu reißen. Andere haben den Polizeiknüttel vom Koppel losgemacht und schwingen ihn drohend. Drohend sitzen eng über den Brauen die vom Sturmband gehaltenen Tschakos.
Nur die vordersten Bauern bemerken den Ansturm, stutzen, wollen halten, werden von hinten geschoben.
|186| Henning verhält jäh den Schritt. Und in einem Gefühl spottenden Trotzes hebt er die Fahne noch höher, lehnt mit dem Rücken gegen die Nachdrängenden. Während er stehenbleibt, quellen sie vor.
Die anstürmende Polizei sieht ihn entschwinden, das vorderste Glied schloß sich schon vor ihm. Nun ist er hinter der zweiten, hinter der dritten Reihe.
»Die Fahne!« schreit Frerksen. »Die Fahne!«
Der erste Polizist, der auf die Bauern prallt, ist Geier. Wie eine Wand sind sie vor ihm, eine Wand von drohenden, gleichgültigen, finsteren, weißen, braunen Gesichtern. Hände heben sich gegen seine erhobenen Hände, Stöcke werden hochgehalten; ob zur Abwehr, ob zum Angriff, wer weiß es.
»Straße frei!« brüllt er.
Dort weht die Fahne, nicht weit ab, zehn Meter, zwanzig Meter. Er muß sie haben. Wo sind die Kollegen? Gleichgültig, die Bauern geben nach, sein Gummiknüttel schlägt gegen die erhobenen Hände. Irgendwie entsteht eine Gasse vor ihm, ein kürzestes Stück freier Weg, in das er eindrängt. Und wieder gibt der Mann vor ihm nach, entschwindet nach der Seite. Er kann weiter, er kommt der Fahne näher.
Halb von hinten schlägt etwas dumpf knallend auf seinen Tschako, dann trifft ein Schlag seine linke Schulter.
Um so entschlossener schlägt er ein auf die vor ihm. Wollen sie nicht nachgeben, diese doofen Bauern, diese Scheißkerle, diese Hunde, gottverdammten! Die Fahne …
Er stößt seinen linken Ellbogen mit voller Wucht einem Dicken in den Bauch. Der fällt rückwärts, die Leute weichen, pressen sich fester gegen die Nachbarn. Mit einem Satz, halb stolpernd, halb schon fallend, ist Polizeihauptwachtmeister Geier bei der Fahne, greift taumelnd nach dem Fahnenschaft, lehnt einen Augenblick Brust an Brust mit dem Fahnenträger und reißt mit dem Schrei: »Fahne her!« die Fahne an sich.
Henning schaut ihn an. Sein Blick loht. »Die Fahne ist unser«, sagt er. Reißt sie zu sich.
|187| Die linke Hand am Fahnenschaft, führt Geier einen Schlag mit dem Gummiknüttel gegen die haltenden Hände Hennings.
Der hält fest.
Und Geier will zum zweiten Male schlagen, als eine Hand von hinten um seine faßt. Ein kurzer Kampf, ein stechender Schmerz, und die halb ausgedrehte Hand gibt den Gummiknüttel frei.
Drinnen im dichtesten Gewirr der Bauern zerren sie an der Fahne. Henning und Geier, stoßend, fallend, in einem ständig sich bewegenden Wirbel von Leibern, gestoßen, schon an der Erde.
»Nimm den Säbel, Oskar!« schreit es über Geier. »Die Schweine verdienen es nicht anders.«
Der riesenhafte Soldin ist da und mit ihm der wieselhafte Meierfeld.
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