Bauern, Bonzen und Bomben
das Gewühl drängt eifrig der kleine Pinkus von der »Volkszeitung«.
»Sag mal, Genosse Erdmann, was war da eben? Ich bin zu spät gekommen.«
»Ich weiß auch nicht. Frerksen hatte was mit dem Fahnenträger. |180| Dann gab es Gedränge und Schlägerei. Und dann, ich weiß nicht. Dort steht er an der Wand, frag ihn doch.«
Pinkus drängt sich durch die Leute, die den Zug anschauen. An der Wand, in einem Winkel, fast unbeachtet, steht Frerksen, immer noch keuchend, die leere Säbelscheide in der Hand.
»Was war da eben, Frerksen? Was war da los?«
»Du, Pinkus? Ich beschlagnahme die Fahne. Sie ist aufreizend, ihr Mitführen im Zuge ist nicht gestattet.«
»Aber sie sind weg mit der Fahne«
»Trotzdem. Ich beschlagnahme sie trotzdem. Wo bleibt der Entsatz? Ich habe Maurer nach Entsatz geschickt.«
»Wo sind die andern?«
»Auf dem Burstah.«
»Warte, ich schicke einen Radler. – Und auch du, wenn du die Fahne noch haben willst, solltest dem Zuge vorauslaufen. – Was ist mit deinem Säbel?«
Frerksen steht da. Er hat das Koppel losgeschnallt, sieht darauf: die leere Scheide.
»Was ist mit dem Säbel?«
»Sie haben mir den Säbel weggenommen, die Hunde! – Warte, schicke den Radler.«
Frerksen sieht sich um, er weiß nicht genau, was er tun soll, aber diese leere, lächerliche Scheide, Symbol seiner Schande vor der ganzen Vaterstadt, muß er loswerden.
Er steht vor einer Ladentür. Vorsichtig klinkt er die Tür auf, späht in den Laden. Er scheint leer zu sein. Strickwaren. Trikotagen, denkt Frerksen mechanisch.
Mit einem plötzlichen Ruck schleudert er die Scheide in den leeren Laden, hört, wie sie klirrend niederfällt. Er schließt die Tür, er atmet auf.
Dann setzt er sich in Trab. Läuft am Zuge entlang, an Gesichtern vorbei, gleichgültigen, neugierigen, bekannten. Er, der ruhige, gesetzte Beamte, läuft im Hundetrab durch die Stadt. Die Fahne, denkt er. Die Fahne!
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Der Oberinspektor läuft durch die Stadt. Zuerst den Marktplatz entlang, den der Zug der Demonstranten fast leer von Bürgern der Stadt gesaugt hat, dann am Burstah, an der Seite des Zuges, beglotzt und belächelt, gleichgültig angesehen und betuschelt. Seit seinen Jungenjahren hat er keinen solchen Dauerlauf mehr gemacht, seine Brust keucht, sein Herz hämmert. Hinter der schmutzigen, beschlagenen Brille kann er kaum noch etwas sehen, er rennt Leute an, stößt sie, und sie fahren hoch, setzen mit Schimpfen an und verstummen, wenn sie ihn erkennen.
Bauern über Bauern, ein seltsamer Demonstrationszug, ohne Takt, ohne Musik immer noch. Sie gehen nebeneinander, in Gliedern zu achten, doch geht jeder für sich allein, langsam, schwer, als ginge es durch gepflügten losen Boden.
Sie
sehen nicht auf ihn. Noch ist er am Ende, noch in der Mitte des Zuges, dort weiß man noch gar nicht, was vorgefallen ist. Wer ihn sieht, sagt höchstens: »Kiek, der Polizeibrillenmensch läuft. Was der sich wichtig hat! Wir sorgen für uns selber!«
Nun geht es gegen die Zugspitze. Er hat sie lange schon wehen sehen darüber, entfaltet vom Wind und der Bewegung des Marsches: schwarzes Feld, weißer Pflug, rotes Schwert. Und die mattglänzende Sense darüber, zweimal umgeknickt, doch immer noch mit der Spitze aufwärts weisend, ein aufrührerisches Signal.
Unmöglich, diese Sense, denkt er fieberhaft im Laufen, ich durfte sie nicht dulden, das kann Gareis gar nicht wollen. Außerdem gibt es eine Ortspolizeiverordnung, nach der ungeschützte Sensen nicht im Stadtgebiet getragen werden dürfen. Ich muß diese Verordnung nachsehen, ehe ich mit Gareis spreche. – Da sind die …
Durch eine Menschenlücke sieht er den Fahnenträger und den bebrillten Mann daneben. Plötzlich kommt es ihm vor, als lache einer dem andern zu.
|182| Sie haben mich gesehen. Sie verhöhnen mich. Weil ich die Fahne nicht gekriegt habe. Wartet, ihr!
Sie haben ihn nicht gesehen, die beiden an der Spitze des Zuges. Henning ist voll beschäftigt, die Fahne, die er ganz ohne Bandelier trägt, zu halten. Sie lehnt sich gegen seine Brust, er fühlt, wie der Wind an ihr reißt, manchmal kommt sie leise ins Schwanken.
Er sieht hinauf an ihr, kann die verbogene Sense sehen und denkt flüchtig: So sieht sie eigentlich noch besser aus. Nach Kampf. Dieser Polizeikuli! Denkt sich, er kann so eine Fahne einfach wegnehmen wie ein Kegelklubbanner oder ein KPD-Plakat. Er wird die Neese plein haben.
Padberg ist mit der Ansprache beschäftigt, die er in der Auktionshalle halten
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