Bauern, Bonzen und Bomben
abend kam die Verfügung. Und da Ihnen die Haft nicht zu bekommen scheint, wollte ich es Ihnen gleich mitteilen.«
»Und ich darf …«, fragt stockend Tredup. »Wann darf ich fort?«
»Morgen früh. Heute abend. Wann Sie wollen.«
»Es ist wahr? Trotzdem ich geschrien habe?«
»Trotzdem. Ja. Ich denke, es wird keine Folgen haben, das Schreien.« Der Direktor nimmt ein Blatt Papier, betrachtet es einen Augenblick mit hochgezogenen Brauen, zerknüllt es und wirft es in den Papierkorb. »Sie wollen gleich nach Haus?«
»Wenn ich darf?«
»Es wird gehen. Was Sie an Privatsachen noch hier beim Hausvater haben, können Sie sich eventuell morgen abholen.«
»Ich danke … ja, ich danke so sehr … nie vergessen«, flüstert Tredup.
|229| »Ich klingle nach der Nachtwache«, sagt der Direktor. »Sie wird Sie fortbringen.«
Eine Klingel schlägt ganz fern und leise irgendwo an. Dann ist eine Weile Stille.
»Übrigens«, sagt der Direktor plötzlich. »Vor ein paar Tagen wollte Sie auch Herr Bürgermeister Gareis besuchen.«
»Ja?«
»Ich durfte es damals nicht gestatten, aber vielleicht gehen Sie jetzt einmal zu ihm, nicht? Er schien sehr viel Interesse an Ihnen zu nehmen. – Wachtmeister, führen Sie den Mann zur Abfertigung. Zenker wird noch da sein. – Gute Nacht, Herr Tredup.«
Er gibt ihm die Hand.
8
Es ist Nacht geworden, eine gute klare Julinacht ohne Mond. Über der kleinen Menschensiedlung Altholm, locker gebaut, zwei Kilometer hin, zwei Kilometer her, ist der Himmel voll ausgestirnt.
Man kann sie sehen, die Sterne, klar flimmern sie herab, und Gareis, der noch mit Assessor Stein spazierengeht, blickt zu ihnen empor. »Sie müssen sich das merken, Stein: Die Hinterräder des Wagens verlängert, und Sie finden den Polarstern. Und die drei dort zusammen, das ist der Gürtel des Orion. Sie waren immer Städter, aber mich nahm mein Vater bei der Hand. Wir gingen über Land, heim von irgendeiner Hausschlachtung, bei der er geholfen. Barbier sein bringt auf dem Lande nicht viel ein.«
»Alles schläft«, sagt der Assessor. »Und morgen fängt der Kampf wieder an.«
»Und ist das schlimm? Es ist gut, daß wir kämpfen müssen.«
»Lohnt es sich?«
Der Bürgermeister bleibt stehen. Den Hut schiebt er in den Nacken, und aus dem Dunkel wuchtet seine große Masse über das befreundete Assessormännchen. »Manchmal |230| frage ich mich, warum Sie überhaupt in der Partei sind. Lohnt es sich …? Gewiß lohnt es sich.«
»Die Genossen sind genauso borniert wie die andern.«
»Und …? Übrigens ist auch das falsch. Sie sind unzufrieden, und Unzufriedenheit ist mehr wert als Genügsamkeit.«
»Ich glaube, Sie werden allein stehen im Kampfe, der kommt.«
»Werde ich? Sie kennen die Arbeiter nicht. Die Arbeiter werden wissen, daß ich für ihre Sache kämpfe.«
»Ihre Sache? Frerksen hat doch Mist gemacht.«
»Nein. Nein. Ich gebe das nicht zu. Auch Ihnen nicht. Recht hat er getan.«
Und plötzlich ganz lebhaft: »Halt! Sehen Sie! Sehen Sie doch! – Da fiel eine Sternschnuppe. Haben Sie sich was gewünscht? Natürlich haben Sie sie nicht gesehen. Ich habe mir was gewünscht.«
Der Assessor fragt: »Und was?«
»Das sage ich Ihnen erst in vier Wochen. Oder in einem Monat. Oder in einem halben Jahr.«
»Aber Sie sagen es mir?«
»Das tue ich. Bestimmt.«
Auch Tredup, der vom Zentralgefängnis heimtrottet, sieht zu den Sternen empor. Aber die Sternbilder kümmern ihn nicht. Er will nur die Gegend sehen, in der er, auf dem Heimweg damals von Stolpe, sein Geld vergrub. Am liebsten liefe er gleich jetzt durch die Nacht dorthin, grübe es aus dem Kiefernsand, nahe den Dünen. Ginge fort aus Altholm, aus Pommern, aus Deutschland, in die weite Welt. Irgendwohin, in einen Winkel, am besten dorthin, wo man die Sprache nicht kennt, das Land nicht kennt, wo niemand je erfahren wird, was ihm geschehen …
Aber da sind Frau und Kinder.
Mit kummervoll hochgezogenen Schultern, den Blick scheu hinter sich nach Verfolgern, schleicht er der riechenden heißen Hofwohnung zu.
|231| Stuff geht mit gesenktem Kopf. Sieht er die Sterne, sieht er sie höchstens im Wasser, im Teich, den entlang er der Kneipe zustrebt. Aber er denkt nicht an sie, er denkt an seinen neuen Chef, an das um hundert Mark verkleinerte Gehalt (sie haben sich loyal die Differenz geteilt, und er hat auf Spesen verzichtet). Er denkt der Kette, an die sie ihn jetzt gelegt haben. Oh, daß er nicht beißen darf! Daß ein feiger Chef ihm den offenen
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