Bauernjagd
Körperverletzung und
so weiter. Er musste sogar für ein paar Monate ins Gefängnis. Vor allem aber
haben die Vestings eine saftige Geldstrafe bekommen. Sie mussten Land verkaufen,
um alles bezahlen zu können.«
»Ich verstehe«, sagte er. »Wenn ich mir den Hof ansehe, vermute ich
mal: Das war der Anfang vom Ende?«
Sie nickte. »Die Vestings haben sich nie richtig davon erholt. Kurz
darauf ist Ambrosius gestorben, und Melchior hat den Hof übernommen. Da war
viel Lack bereits ab, und dann ging es nur noch bergab. Und heute … Im Grunde
ist es eine Schande.«
Er dachte darüber nach. Erstmals war ein Motiv zu erkennen, das die
Morde erklärte.
»Und was wirst du jetzt tun?«, fragte sie.
»Wir werden uns Vesting vornehmen. Gleich morgen. Wenn an der Sache
etwas dran ist, werden wir das herausfinden.«
»Er hat sich für den Niedergang seines Hofs gerächt.«
Hambrock lehnte sich zurück. Da gab es noch eine Reihe von Fragen,
die er seiner Tante stellen wollte, doch zunächst musste er etwas anderes
erledigen.
»Kann ich mal euer Telefon benutzen?«, fragte er. »Ich möchte meiner
Frau kurz sagen, dass ich heute Nacht hierbleibe.«
»Natürlich.« Tante Ada stand auf und holte das Funktelefon von
nebenan.
»Ist sie denn so spät noch auf?«
»Erlend ist ein Nachtmensch. Ihre Arbeit beginnt immer erst um zehn,
und trotzdem kommt sie fast nie rechtzeitig aus dem Bett.«
Er wählte die vertraute Nummer.
»Wenn sie ins Bett geht, stellt sie den Klingelton leise. Dann hört
sie nichts mehr.«
Am anderen Ende ertönte ein Freizeichen. Er hätte schon viel früher
anrufen müssen. Sie wusste zwar, dass es einen weiteren Leichenfund in
Erlenbrook-Kapelle gegeben hatte, trotzdem meldete er sich für gewöhnlich
irgendwann im Laufe des Abends, um zu sagen, wie lange es noch dauern würde.
Es läutete ein zweites, dann ein drittes Mal. Bitte, Elli, jetzt geh
schon ran. Er wartete. Schließlich gab er auf und versuchte es auf ihrem Handy.
Doch da war es das Gleiche.
»Sie schläft schon.«
Er wog das Telefon in seiner Hand, dann legte er es sorgsam auf den
Tisch und faltete die Hände.
Ada betrachtete ihn aufmerksam.
»Vielleicht fährst du doch besser nach Hause?«
Er sah überrascht auf. War er so leicht zu durchschauen?
»Ich habe getrunken. Außerdem möchte ich euch nicht alleine lassen.«
»Wir kommen schon klar. Heute Nacht wird bestimmt nichts mehr
passieren. Und die Straßen sind frei, du wirst schon gut rüberkommen.« Sie
lächelte. »Die Bauern hier fahren ständig betrunken von der Kneipe nach Hause.
Das ist noch immer gut gegangen.«
Wusste seine Tante etwas von seinen Eheproblemen? Das konnte kaum
sein, wer hätte ihr schon etwas darüber erzählen können?
Er nickte. »Also gut. Vielleicht ist es besser.« Mühevoll erhob er
sich. »Denkst du, Annika könnte morgen früh bei mir zu Hause vorbeikommen? Am
besten gegen sieben, dann bin ich im Büro, wenn unsere Dienstbesprechung
anfängt.«
»Wir stehen hier sehr zeitig auf. Das wird kein Problem sein.«
Während er seine genaue Adresse auf einem Zettel für Annika
notierte, holte Tante Ada seine Daunenjacke. Wenn Erlend heute Nacht aufwachte,
würde er wenigstens neben ihr im Bett liegen.
»Hier ist deine Jacke.« Sie reichte sie ihm und führte ihn zur Tür.
»Es war ein langer Tag, Tante Ada. Schlaf gut.«
»Du auch.« Sie klopfte ihm auf die Schulter, lächelte geheimnisvoll
und schloss dann sorgfältig die Tür.
17
Annika machte sich noch vor dem Frühstück auf den Weg nach
Münster. Sie nahm Maritas Auto. Sophia hatte sich bereit erklärt, Emma mit dem
Kombi zum Kindergarten zu bringen.
Die Nacht war unruhig und voller Alpträume gewesen. Sie fühlte sich
wie gerädert. Noch immer flammte Panik in ihr auf, wenn sie an die Grube
zurückdachte. Es waren nur zwei oder drei Stunden gewesen, doch im Nachhinein
kam ihr die Zeit wesentlich länger vor. Mit jedem Versuch, sich zu befreien,
war sie tiefer in die Maschen gerutscht. Am Ende hatte sie sich reglos hängen
lassen und einfach gehofft, irgendwie lebend aus der Sache herauszukommen.
Dabei überraschte es sie im Grunde gar nicht, dass Melchior Vesting
rund um seinen Hof Fallen aufgestellt hatte. Im Gegenteil, das passte doch zu
diesem sonderbaren Kauz.
Vor Bernhards Haustür betrachtete sie die vielen Namen auf den
Klingelschildern. Ihr wurde bewusst, dass sie fast nur Menschen kannte, die in
einem eigenen Haus wohnten. Das Leben in einer Mietwohnung, umgeben von
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