Bauernjagd
Windschutzscheibe, das Gesicht leichenblass, die
Augen rot gerändert.
»Hallo, Anni«, sagte Clemens. »Gut, dass ich dich sehe. Kannst du
Ada fragen, ob sie ihre Thermoskannen bei uns vorbeibringen kann, bevor sie zum
Friedhof fährt? Es kann nicht schaden, für den Notfall gerüstet zu sein. Da kommen
eine Menge Leute heute Nachmittag.«
»Na klar, ich sag’s ihr. Brauchst du sonst noch etwas?«
»Nein, ich glaube nicht. Wir sind so weit gut vorbereitet.«
Er beugte sich aus dem Fenster.
»Was war eigentlich heute Morgen bei euch los? Das sah ja aus wie
ein Großeinsatz der Polizei. Hatte es mit Werner Zumbülte zu tun?«
»Nein. Wieso sollte es?«
»Ich habe ihn heute Morgen gesehen. Er war zu Fuß unterwegs,
offenbar wollte er zu euch. Ich war sehr früh auf wegen der Trauerfeier,
deshalb ist er mir aufgefallen. Das war kurz bevor die Polizeiwagen kamen.«
»Wer ist Werner Zumbülte?«, fragte Bernd. Annika hatte gar nicht
bemerkt, dass er ebenfalls den Helm abgesetzt hatte.
»Ein ehemaliger Nachbar von uns. Ihm gehört der Kotten unten an der
Straße, in dem die Künstler leben. Er hat alles vermietet und ist in die Stadt
gezogen.« An Clemens gewandt, fragte sie: »Bist du sicher, dass es Werner war?«
»Natürlich. War er denn gar nicht bei euch?«
»Nein. Aber eine unserer Kühe ist schwer verletzt worden. Mit einem
Messer.«
Clemens machte ein erschrockenes Gesicht.
»Du liebe Güte! Und jetzt denkst du …?«
»Ich weiß nicht, was ich denken soll. Aber das ist schon ein
merkwürdiger Zufall.« Zu Bernd sagte sie: »Wir müssen zurück auf den Hof und
Bernhard Hambrock anrufen.«
»Können wir ihn nicht einfach auf dem Handy anrufen?«, fragte Bernd.
»Nein. Wir müssen zurück.« Sie lächelte bedauernd. »Es tut mir leid.
Ich kann jetzt nicht weg.«
Bernd setzte den Helm wieder auf und ging in Position. Sie wechselte
noch ein paar Worte mit Clemens, der sie mit Fragen löcherte. Gabriele saß
derweil apathisch neben ihm, sie schien sich für die Neuigkeiten gar nicht zu
interessieren. Schließlich verabschiedete Annika sich, und sie kehrten um.
Während der kurzen Fahrt zum Hof rasten ihre Gedanken. Sollte etwa
Werner Zumbülte hinter den Morden stecken? Aber weshalb sollte er so etwas tun?
Er hatte doch seit Jahren nichts mehr mit ihnen zu schaffen gehabt.
Auf den letzten Metern drosselte Bernd das Tempo, als wollte er die
Fahrt herauszögern. Ein wehmütiges Gefühl nahm von ihr Besitz. Vielleicht
können wir den Ausflug ja nachholen, dachte sie. Irgendwann, wenn dies alles
hier vorbei ist.
Hambrock war ins Nebenzimmer gegangen, um zu telefonieren.
Die Fahndung nach Werner Zumbülte war in die Wege geleitet. Sollte alles glatt
laufen, würden sie ihn in ein paar Stunden gefasst haben. Noch konnte sich zwar
keiner erklären, was Zumbülte mit den Geschehnissen zu tun haben sollte, aber
trotzdem hatten alle das Gefühl, endlich auf eine heiße Spur gestoßen zu sein.
Hambrock hatte Tante Ada versprochen, so schnell wie möglich nach
Erlenbrook-Kapelle zu fahren, sie hatte sich am Telefon ziemlich mitgenommen
angehört. Er blickte auf die Uhr. Es war halb elf. Eigentlich hatte er ja
geplant, erst am Nachmittag zur Beerdigung zu fahren. Mit bedrücktem Gesicht
kehrte er zurück in die Küche.
»Und?«, fragte Erlend. »Hast du etwas erreicht?«
»Die Kollegen aus Steinfurt fahnden jetzt nach diesem ehemaligen
Nachbarn. Wenn er gefasst wird, können wir ihn vernehmen.«
Er setzte sich. Der Küchentisch war übersät mit den Resten ihres
ausgedehnten Frühstücks. Halb leere Kaffeetassen, Brötchenkrümel, Eierschalen,
Obstreste. Die Sonne schien durchs Fenster, alles sah nach einem perfekten
Samstagmorgen aus. Er wünschte, er könnte einfach bleiben.
Erlend schien seine Gedanken zu lesen. Sie lehnte sich zurück und
legte die Serviette auf den Tisch.
»Und jetzt musst du wieder los, nicht wahr?«
Er nickte. Alles, was er hätte sagen können, war, dass es ihm
leidtat. Aber das wäre banal.
Sie seufzte. »Dann mach dich mal auf den Weg.«
Er rührte sich nicht von der Stelle.
»Willst du nicht mitkommen?«, fragte er.
»Was soll ich denn da? Das ist Ermittlungsarbeit. Nein, ich wäre dir
nur ein Klotz am Bein. Ich begleite dich heute Nachmittag zu der Beerdigung,
und selbst da kannst du mich im Grunde nicht gebrauchen.«
»Elli, ich …«
Sie stand auf und räumte die Teller zusammen.
»… ich weiß selbst, dass es so nicht weitergeht«, beendete er den
Satz.
Er
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