Bauernjagd
Der
letzte ist viel zu lange her.«
»Das denke ich auch. Bis bald, Tobias.«
Er wartete, bis Teuber im Haus verschwunden war, dann ging er zurück
zu seinem Wagen. Nachdenklich startete er den Motor. Sollte sich Teuber
verstellt haben, wäre er ein begnadeter Schauspieler. Hambrock glaubte nicht
daran. Trotzdem. Das Bild von ihm und Erlend auf dem Prinzipalmarkt hatte er
nicht vergessen.
Er blickte auf die Uhr. Es war halb neun. Erlend lag sicherlich noch
im Bett. Er zögerte und blickte auf die Brötchentüte. Dann wendete er den Wagen
und steuerte ihre gemeinsame Wohnung an. Das Frühstück wäre ausgefallen, könnte
er behaupten.
In den Ställen war alles ruhig. Ada schaltete das Licht
an. Ihre Bewegungen waren noch mechanisch, wie immer um diese Uhrzeit. Sie
brauchte ihre Zeit, um wach zu werden. Der Kontrollgang durch die Ställe gehörte
zur ihrer morgendlichen Routine, genauso wie Waschen und Zähneputzen.
Marita schlurfte grußlos an ihr vorbei, überquerte den Hof und
kletterte in den Melkstand, wo sie das Radio einschaltete. Die leise Stimme
eines Nachrichtensprechers wehte zu Ada herüber. Sie betrat die Kälberställe.
Dort regte sich erstes Leben, ein paar Jungtiere traten erwartungsvoll an die
Tröge. Annika würde in ein paar Minuten folgen und die Kälbermilch zubereiten,
so lange mussten sie sich gedulden.
Ada zog eine Banane aus ihrer Jackentasche und schälte sie. Eine der
Katzen lief ihr entgegen und schmiegte sich an ihren Knöchel. Ada strich ihr
übers Fell, schob sie dann vorsichtig zur Seite und ging weiter.
Shakira musste zum Boxenlaufstall getrieben werden, damit sie mit den
anderen Kühen gemolken werden konnte. Ada gähnte. Der Gang, der zur
Krankenstation führte, lag im Zwielicht, erhellt nur von den Leuchtstoffröhren
im Kälberstall. Sie steckte sich das letzte Stück Banane in den Mund und
faltete die Schale sorgfältig zusammen, um sie später zu entsorgen. Da bemerkte
sie im Augenwinkel eine Bewegung. Keine fünf Meter von ihr entfernt, am anderen
Ende des Gangs. Jemand drückte sich hinter einen Balken und tauchte in der
Dunkelheit ab.
Bleib ruhig! Jetzt keine falsche Bewegung!
Draußen auf dem Hof stand der Wagen der Polizei. Direkt neben der
Auffahrt. Sie musste aus dem Stall hinaus. Sofort. Als wäre sie in Gedanken
versunken, wandte sie sich zur Seite und beugte sich über einen Milchtrog. Dann
tat sie, als müsse sie den Eimer überprüfen, und zog die Saugvorrichtung zurecht.
Ihre gesamte Aufmerksamkeit galt dabei der düsteren Ecke am anderen Ende des
Gangs. Sie war bereit, sofort loszustürmen, sollte sich die Gestalt aus dem
Schatten lösen. Doch es rührte sich nichts.
Wie ferngesteuert drehte sie sich um und kehrte langsam zum Hof
zurück. Es kostete sie ihre gesamte Willenskraft, nicht einfach
draufloszustolpern, sondern sich ruhig und scheinbar gleichmütig zu verhalten.
Jeden Moment rechnete sie mit einem Angriff, doch die Gestalt blieb in der
Dunkelheit verborgen.
Endlich hatte sie den Ausgang erreicht. Sie stürzte auf den Hof und
rannte winkend auf das Polizeiauto zu. Die Beamten hoben alarmiert die Köpfe,
dann öffneten sie die Türen.
»Im Kälberstall!«, keuchte Ada. »Da ist jemand. Ich hab ihn gesehen,
er hält sich dort versteckt.«
Die Polizisten wechselten einen Blick.
»Wo genau haben Sie ihn dort gesehen?«
Während Ada dem einen alles erzählte, nahm sein Kollege das
Funkgerät und rief Verstärkung. Sie schnappten sich ihre Waffen und näherten
sich lautlos dem Kälberstall.
Marita war aus dem Melkstand geklettert und trat neugierig näher.
»Was ist denn hier los?«
»Der Mörder … er ist hier bei uns. Im Stall. Ich hab ihn gesehen.«
»Du hast … was? Das ist doch ein schlechter Scherz.«
»Sehe ich aus, als ob ich Witze mache?«
»Aber …« Sie verstummte und blickte zur offenen Stalltür. Entfernt
erklangen Martinshörner. Zunächst nur ganz leise, doch sie wurden zunehmend
lauter. Verstärkung war unterwegs.
Die Türöffnung gähnte verlassen im Morgengrauen. Sie warteten
angespannt, keine sagte etwas. Doch nichts passierte. Nach einer Weile tauchten
die Polizisten wieder auf. Sie waren allein. Nickten sich zu und umrundeten mit
erhobenen Waffen das Gebäude.
Ada bemerkte, dass sie sich an Maritas Arm geklammert hatte. Eilig
ließ sie ihn los und verschränkte die Arme fest vor ihrem Bauch. Die
anschwellenden Martinshörner verstummten plötzlich, als Nächstes schossen
Blaulichtfahrzeuge auf den Hof. Die beiden
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