Bauernopfer: Lichthaus' zweiter Fall (German Edition)
weder Augen noch Kehlkopf sind verletzt. In ein paar Wochen und nach einigen Sitzungen beim Zahnarzt sieht er wieder aus wie vorher. Das ist allerdings nur die Hülle, der Mann ist massiv traumatisiert und muss in psychologische Behandlung.«
Brünjes drehte sich um und sah in ihre Richtung. »Was wollen Sie?« Die Worte waren noch unverständlicher als am Vorabend, und Lichthaus musste sich zu der erbärmlichen Gestalt hinunterbeugen, um ihn verstehen zu können. Der unangenehme Gestank von Krankheit stieg ihm in die Nase. Jod und Verbände, ein ungewaschener Körper im Stress und der dumpfe Geruch eines ausgetrockneten Rachens. Dies gemischt mit der abgestandenen Luft warf ihn fast um vierundzwanzig Stunden zurück, und es kostete ihn alle Überwindung, sich nicht angeekelt wegzudrehen. Ihm wurde wieder schlecht, Schweiß lief ihm den Rücken hinunter und er bewegte die Schultern, damit sein Unterhemd die Feuchtigkeit aufsaugen konnte.
»Wer hat Sie so zugerichtet?« Er richtete sich etwas auf, um Brünjes weniger nahe sein zu müssen.
»Ich werde nichts sagen.«
Schwindel griff nach Lichthaus, und er wollte das Gespräch so schnell wie möglich hinter sich bringen und raus in die frische Luft kommen: »Hören Sie auf, hier abzublocken. Es geht nicht nur um die schwere Körperverletzung, die man Ihnen verpasst hat, sondern auch um zwei Morde, wenn ich Sie erinnern darf.«
»Die werden wiederkommen.«
»Das ist Quatsch. Die versuchen, Ihre Aussage zu verhindern, weil sie sonst selbst dran sind.«
Brünjes drehte den Kopf weg und starrte lange an die Decke.
Sophie startete einen Anlauf: »Wollen Sie als Journalist einfach klein beigeben?«
»Ich, also ... Schneider und Jost.«
»Wie bitte?«
»Die Etiketten.«
»Wovon sprechen Sie?«
Es brauchte eine ganze Weile, um die Geschichte aus dem verängstigten Mann herauszulocken, anschließend jedoch verstanden sie seine Panik. Nach der Flucht vom Gelände der Firma hatte er in einem Café die Etiketten miteinander verglichen und festgestellt, dass aus irgendwelchem Fleisch Biofleisch geworden war. Die Neuigkeit hatte er mit Julia Bergner besprechen wollen und sich mit ihr getroffen, doch noch bevor er der Kollegin die Beweise hatte zeigen können, war es zu dem Überfall gekommen, bei dem man ihm den Rucksack geraubt und mit dem Tod gedroht hatte, sofern er reden würde.
»Seit wann haben Sie die Informationen über Schneider und Jost?«
Der Journalist zögerte, und Lichthaus wusste Bescheid. Er hatte sie verschwiegen, um seine Story zu bekommen, ohne mit der Polizei in Wettlauf zu treten. Er schwieg hierzu, denn der arme Kerl hatte schon genug bezahlt.
»Lassen wir das. Wer hat Sie informiert?«
»Die anonyme Mail, die ich Ihnen gegenüber erwähnt habe, ist nicht die einzige gewesen. Wir haben kurze Zeit später wieder eine erhalten, in der sich der Schreiber nach dem Fortgang der Dinge erkundigt hat. Ich habe daraufhin geantwortet, dass ich mehr Infos brauche, woraufhin mir die Namen Kaiser sowie Schneider und Jost genannt wurden.«
»Was noch?«
»Sonst nichts, das war alles.« Seine Stimme bekam einen erstickten Ton, der es fast unmöglich machte, ihn zu verstehen. »Ich muss mich erst einmal sortieren und gesund werden, weg von allem hier.« Er schniefte, und Lichthaus wusste, dass der Mann im Begriff war, in Selbstvorwürfen und Selbstmitleid zu zerfließen, eine Reaktion, die er schon oft beobachtet hatte. Viele überschätzten sich selbst und fuhren auf die eine oder andere Art gegen die Wand, die von den Grenzen ihrer individuellen Fähigkeiten hochgezogen wurde, und erlitten schwere Verletzungen, meist nur seelischer Art. Brünjes hingegen hatte auch physische Gewalt erfahren, der er sich auf keinen Fall erneut aussetzen wollte. Lichthaus rechnete damit, dass der Reporter so schnell wie möglich zurück in seine Redaktion gehen und lieber den Rest der Zeit mit banalen ungefährlichen Storys verbringen würde, als nochmals so dünnes Eis zu betreten. Er wünschte gute Besserung und wollte das Gespräch beenden, doch Sophie berührte Brünjes so zart an der Schulter, wie es nur eine Frau kann. Ihr Ton war ruhig: »Welche Namen standen noch in der Mail?«
»Keine.«
»Was dann? Da war sicherlich mehr drin, sonst wären Sie nicht so eingestiegen.«
Erneut zögerte der Journalist. »Scheiß auf die Angst«, er atmete tief ein, »der Informant hat noch geschrieben, dass dort alle Fäden zusammenlaufen.«
Auf der Treppe nach unten piepte
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