Bauernopfer
Edelstahlspüle standen.
»Kaffeeplausch? Ein Besucher? Ein Gespräch? Vielleicht ein Streit oder eine schlechte Nachricht? Kann das ein Motiv für einen möglichen Selbstmord sein?«, überlegte Sandra laut, während sie zur Kaffeemaschine ging und feststellte, dass der gebrauchte Filter noch eingelegt war.
»Kann sein, muss aber nicht«, antwortete Charly. »Das Blöde ist, dass wir ja noch gar nicht wissen, ob wir es mit einem Selbstmord oder einem Tötungsdelikt zu tun haben. Oder was meint ihr, Jungs?«
»Du weißt doch, wie’s ist, Charly«, entgegnete Beck. »Was erledigt ist, nimmt dir keiner mehr. Und was wir jetzt versäumen, kannst du später vielleicht nicht mehr nachholen. Die Situation ist nun mal nicht eindeutig und es kann sich so oder so entwickeln. Übrigens …«, aus seinem Tatortkoffer fischte er einen Druckverschlussbeutel, in dem eine abgegriffene, braune Geldbörse lag, »da sind 800 Euro Bargeld drin. Der Geldbeutel war da in der Küchenschublade. Und es sieht auch sonst nichts so aus, als wär’s durchsucht worden. Also Raubmord war’s keiner.«
Charly und Sandra ließen die Spurensicherer in dem muffigen Haus zurück und machten sich auf den Weg zum Dienstwagen. Es war erst kurz nach 10.00 Uhr und noch mehr als genügend Zeit bis zur Obduktion. Darum beschloss Charly die Zeit zu nutzen, um mit Bichlers Nachbarn zu sprechen.
Im Norden lagen zwischen dem Bauernhof und dem einige hundert Meter entfernten Donaudamm nur Felder, Wiesen und ein kleines Wäldchen. An den anderen drei Seiten umschlossen Pferdekoppeln den Hof wie ein Hufeisen. Es gab nur einen Nachbarn, und das war der Reiterhof etwa 100 Meter südlich von Bichlers Anwesen.
Lange bevor sie das Gestüt erreichten, stieg Charly der typische Pferdegeruch in die Nase. So roch auch die Kleidung seiner Tochter, wenn sie vom Reiten nach Hause kam. Und mittlerweile nicht nur Julias Reitsachen, sondern auch der ganze Keller, immer öfter das Treppenhaus und manchmal sogar sein Auto. Für manche war es der Duft nach Freiheit und Abenteuer, für die anderen, dazu gehörte auch Charly, einfach nur beißend und unangenehm.
Der Reiterhof machte einen sehr gepflegten Eindruck. Auch das konnte Charly mittlerweile beurteilen, denn er holte Julia ab und zu vom Reiten ab und er wusste, was Pferde so alles fallen ließen, egal wo sie gerade standen, trabten oder galoppierten, was sich alles aus Hufen lösen konnte, wo phlegmatische Reiter ihre Ausrüstung verstreuten und was nach dem Ausmisten alles vom Schubkarren fallen konnte und dann einfach liegen blieb. Aber dieser Hof war peinlich sauber. Nach der lieblosen Öde des Bichler-Hofes erfreuten hier Blumenkübel, bewachsene Rankgitter und Rabatten den Betrachter. Auch die Stallungen waren ordentlich aufgeräumt. Dort fanden sie nach dem Hinweis eines Pferdefreundes den Besitzer, einen stämmigen Mittfünfziger, dessen Figur darauf schließen ließ, dass das Geschäft mit Reitern und Pferden seit langem gut lief und er es genoss, das genießen zu können. Das volle graue Haar, das schwungvoll nach hinten gekämmt war, bildete ein kleines Vordach über der Stirn und darunter funkelten helle, listige Augen.
Ja, er habe schon davon gehört, dass der Bichler sich das Leben genommen hat. Aber so leid es ihm täte, er könne sich nicht vorstellen, dass irgendjemand etwas vermissen würde, wenn der Bauer nicht mehr auf dieser Welt wandle. Denn dieser Mensch sei das Musterbeispiel eines Misanthropen gewesen. Er konnte weder sich selbst noch einen anderen leiden, mochte mit niemandem etwas zu tun haben und betrachtete scheinbar die Zeit seines Daseins als pure Last.
Wie er denn zu einer derart intimen Kenntnis des betreffenden Charakters gelangt sei, begehrte Charly sprachlich angepasst zu wissen. Sandra wandte sich ab, um ihr Grinsen zu verbergen, und widmete sich dem Streicheln einer schwarzen Friesenmähne.
Der Gutsherr erzählte, dass er seinem Nachbarn vor Jahren die Wiese unmittelbar hinter dessen Hof hatte abkaufen wollen, um daraus eine Zuchtweide zu machen. Obwohl der Bauer die Wiese nicht benötigte, hatte er die Anfrage rundheraus abgelehnt. Er hatte sich damals nicht die Mühe gemacht, eine Begründung für seine Ablehnung anzuführen, sondern einfach gesagt, er würde die Wiese deshalb nicht verkaufen, weil der Interessent die Wiese kaufen wollte. Weiteren Argumenten und Angeboten war er nicht zugänglich gewesen und so kühlte das nachbarschaftliche Verhältnis bis zum
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