Bauernopfer
gegenüberzusitzen, die sich über ihre Alkoholexzesse vom Wochenende unterhielten, hätte Charlys ohnehin schon vorhandene Abneigung gegen das Busfahren ins Unerträgliche gesteigert.
In der hinteren Hälfte lagen in vielen der Zweierbänke Jugendliche quer auf der Bank, die Basecap tief ins Gesicht gezogen, den MP3-Player im Ohr und den Rucksack auf dem freien Platz daneben abgestellt. Gott sei Dank entdeckte Charly eine komplett freie Sitzbank und rutschte auf den Platz am Fenster. Im Bus herrschte bereits ein subtropisches Klima. Die Heizung lief auf höchster Stufe und das verdampfende Regenwasser aus der Kleidung der Fahrgäste schlug sich an den kalten Scheiben nieder. Durch die beschlagenen Fenster war außer einem konturlosen Hell und Dunkel nichts von der Umgebung zu erkennen. Ruckend fuhr der Bus wieder los.
Früher war das auch anders, dachte Charly. In seiner Kinderzeit war es ihm immer vorgekommen, als würden Omnibusse schweben. Der Motor hatte beruhigend gleichmäßig geschnurrt und der Bus war sanft in die Haltestellen geglitten und ohne Ruckein wieder weitergeschwebt. Auch war früher ein Linienbus ein Ort, an dem man sich nur gedämpft unterhielt. Heute wurde man bereits am frühen Morgen mit türkischen Ös und Üs, Zischlauten von osteuropäischen Sprachen, stampfenden Rhythmen aus Kopfhörern und Klingeltönen malträtiert.
Charly beobachtete die verschwommenen Rücklichter auf der anderen Seite der beschlagenen Scheiben. Zähflüssig wälzte sich der Strom aus Lichtern der Stadt entgegen. Kleine Rinnsale mündeten aus Seitenstraßen in den Hauptstrom und ließen ihn immer mehr anschwellen. An Kreuzungen und vor Ampeln wurde der Fluss zeitweise aufgestaut, aber nur kurz, um sich dann mit den Zuflüssen von links und rechts zu verbinden und weiter Richtung Innenstadt zu strömen. Wie an Stromschnellen erhöhte sich die Fließgeschwindigkeit auf einer breiten und geraden Zufahrtsstraße, um sich dann vor einem Kreisverkehr wieder zu verlangsamen, einen Strudel zu bilden, aus diesem Strudel in mehrere kleinere Kanäle abzufließen und schließlich in unzähligen Parkhäusern und Tiefgaragen sowie auf Firmenparkplätzen und an den Straßenrändern zu versickern.
Auch Charlys Bus war am Busbahnhof angekommen, hatte zischend seine Türen geöffnet und die Fahrgäste in ihren Arbeits- oder Schultag entlassen.
Im Kaffeezimmer waren schon vor Beginn der Frühbesprechung alle sehr aufgeregt. Das beherrschende Thema waren die Pressekonferenzen vom Vortag. Charly hatte bereits zu Hause den halbseitigen Artikel im DonauKurier überflogen. Bierschneiders Auftritt war eine Stunde vor dem polizeilichen Termin über die Bühne gegangen. Dabei hatte der Stadtrat wie erwartet kein gutes Haar an der Polizei gelassen. Zunächst hatte er den Ablauf des Überfalls auf seine Tochter geschildert. Dass er dabei auch Einzelheiten hinausposaunte, die ermittlungstaktisch von Bedeutung sein könnten und daher vorerst nicht veröffentlicht werden sollten, war ihm völlig egal. Danach war er auf die Drohbriefe zu sprechen gekommen und hatte der Polizei Unfähigkeit und Untätigkeit bei der Untersuchung vorgeworfen. Er hatte die Polizei als völlig inkompetent bezeichnet und Horrorszenarien gemalt, wonach man es in Ingolstadt nicht mehr wagen konnte, seine Haustür zu öffnen, geschweige denn, allein durch die Stadt zu gehen.
Die Pressekonferenz von Polizei und Staatsanwaltschaft war weniger polemisch abgelaufen. Man hatte die Errichtung einer Arbeitsgruppe verkündet und versichert, alle in Betracht kommenden Möglichkeiten und Methoden zur Aufklärung zu nutzen. Auf Nachfragen hatte der Leiter der Polizeidirektion Ingolstadt, Polizeidirektor Rubin, beteuert, dass die Sicherheitslage in Ingolstadt zu den besten in Bayern gehöre und niemand sich fürchten müsse, alleine durch die Stadt zu gehen. Der leitende Staatsanwalt, Dr. Brenneisen, hatte Wert auf die Feststellung gelegt, dass es sich um eine gezielte Tat handelte und nicht um einen wahllos agierenden Serientäter. Es müsse sich also niemand Sorgen machen.
Die Morgenbesprechung der Kommissariatsleiter dauerte aufgrund der aktuellen Ereignisse wieder außergewöhnlich lang, und Barsch erschien zusammen mit Garn erst, als die Kaffeekannen bereits leer waren. Im Großen und Ganzen erzählte Barsch das, was Charly schon aus der Zeitung wusste. Zusätzlich berichtete er, dass sich die Schar der Medienvertreter aus dem Polizeireporter des Donau Kuriers, zwei
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