Bauernopfer
Tag, mein Name ist Martina, was können wir für Sie tun?«, flötete eine jugendliche Stimme, ohne Luft zu holen.
»Jetzt hab ich’s vergessen«, scherzte Charly.
»Schade, auf Wiederhören!«
Offenbar war die Sprechstundenhilfe nicht bereit, auf Scherze zu reagieren. Es gelang Charly gerade noch, sie in der Leitung zu halten. Er entschuldigte sich für seinen blöden Witz, schilderte ihr seine Beschwerden und erhielt einen Termin um 18.30 Uhr.
Kurz vor 10.00 Uhr parkte Sandra den Audi vor dem Städtischen Bauhof in der Hindemithstraße ein. Die beiden Ermittler betraten kurz darauf ein kleines Büro mit einem riesigen Stadtplan an der Wand. Auf die Frage nach Manfred Bichler deutete der kleine, dicke Mann, der hier herrschte, durch eine schmutzige Panoramascheibe in den großen Innenhof. Dort zeigte er ihnen einen kräftigen, etwa 40 Jahre alten Mann mit schwarzen Wuschelhaaren und einem dichten Teppich aus bläulichen Bartstoppeln im Gesicht. Er trug einen schmutzigen, orangefarbenen Arbeitsanzug mit Reflektorstreifen und montierte an der Aufhängung einer Schneeschaufel herum, um sie für den Einsatz an dem dahinter abgestellten Lkw vorzubereiten.
Nachdem sich Charly und Sandra als Polizeibeamte vorgestellt hatten, musterte er sie mit einem misstrauischen Blick, widmete sich dann jedoch wieder seiner Arbeit.
Charly roch eine Mischung aus Schmieröl und Schweiß. »Scheint, als würden Sie nicht besonders trauern«, sagte er.
»Wegen mei’m Vatter? Wirklich ned«, antwortete Manfred Bichler.
»Ihr zwei habt kein gutes Verhältnis g’habt, oder?«
»Wir haben überhaupt kein Verhältnis g’habt.« Er hob einen Schraubenschlüssel vom Boden auf und drehte sich zu dem Lkw um.
»Ihr Vater hat sich wahrscheinlich nicht selbst erschossen«, offenbarte ihm Charly.
Manfred hörte auf zu schrauben. Er wandte sich Charly und Sandra zu und es sah aus, als würde er in sich hineinlächeln.
»B’sonders wundern tun Sie sich scheint’s nicht«, stellte Sandra fest.
Sein Blick wurde wieder ernst. »Nein!« Er fuhr fort, die Schrauben am Lkw anzuziehen. »War klar, dass er dazu selber nicht den Mumm hat. Und dass ihn ein anderer erschossen hat, das wundert mich auch nicht.«
»Haben Sie da jemanden Speziellen im Kopf?«
»Gibt’s mehr.«
»Und warum?«
»Verschiedenes.«
Derart einsilbig setzte sich das Gespräch fort. Indem die Beamten aus den Antwortfetzen eine Aussage zusammenfügten, erfuhren sie, dass Manfred Bichler zu seinem Vater fast keinen Kontakt mehr hatte. Bloß beim Holzmachen ging er ihm zur Hand. Doch nur, weil er selbst Brennholz für seinen Kachelofen brauchte. Weitere Treffen, etwa an Weihnachten, Ostern oder zu Geburtstagen, fanden nicht statt und waren auch von beiden Seiten nicht gewollt. Bichler beschrieb seinen Vater als sturen Eigenbrötler, der keine anderen Menschen mochte und mit Gott und der Welt im Streit lag. Er wusste von Reibereien mit dem Maschinenring und mit dem Bauernverband, mit dem Pferdenachbarn und mit der Stadtverwaltung sowieso. Über Frauengeschichten konnte er nichts sagen. Er war sich aber eigentlich sicher, dass sein Vater nach dem Tod der Mutter keine Beziehung mehr zu einer Frau hatte.
»War er ein recht strenger Vater?«, fragte Sandra.
Manfred rieb sich die rechte Wange in schmerzlicher Erinnerung an seine Kindheit. »Das können S’ laut sag’n.«
Die Schneeschaufel war mittlerweile fertig. Bichler bestieg den Lastwagen und fuhr ihn ein kleines Stück nach vorne, millimetergenau an die Schaufel. Charly, der sich während des Gespräches angelehnt hatte, trat einen Schritt zurück und musste feststellen, dass seine Jeans von einem hässlichen Fleck aus Schmieröl und Fett verunstaltet wurde.
Aus Manfred Bichlers Bemerkungen war weiterhin zu folgern, dass er seit Jahren auch zu seinem Bruder keinerlei Kontakt pflegte. Soweit ihm bekannt war, gab es außer ihm und seinem Bruder keine weiteren Verwandten und damit auch keine sonstigen Erben. Dass sein Vater ein Testament gemacht habe, konnte er sich absolut nicht vorstellen. Damit würden die Brüder wohl zu gleichen Teilen das Anwesen und die Ländereien erben. Sonstige Vermögenswerte existierten nicht. Aber für verschiedene Wiesen und Äcker gäbe es schon lange Kaufinteressenten. Wieder ein Streitthema seines Vaters.
»Herr Bichler, wenn’s so ist, dann müssen wir Sie natürlich fragen, wo Sie am Samstag waren«, sagte Charly, während er mit einem Papiertaschentuch an dem Fleck
Weitere Kostenlose Bücher