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Bauernopfer

Bauernopfer

Titel: Bauernopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Peter
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hinab. »Möglich«, antwortete Charly ausweichend.
    Doch Riederer ließ sich nicht irritieren. »Damals war doch deine Theorie, dass die Tochter das Ganze selber inszeniert, um auf sich aufmerksam zu machen und von ihren Eltern bemitleidet zu werden. Der erste Brief tauchte auf, kurz bevor Kiara ein miserables Zeugnis heimbrachte; der zweite Brief kurz nachdem sie bei einem Ladendiebstahl erwischt wurde.«
    »Da sag ich jetzt gar nichts dazu.« Das konnte wirklich niemand wissen. Diese Theorie hatte Charly damals nur im engsten Kreis vertreten.
    »Weißt du, dass Kiaras Mutter jetzt wieder anfangen wollte zu arbeiten? Dann hätte Kiara wahrscheinlich nicht mehr Mamas ungeteilte Aufmerksamkeit. Außerdem sind Papa und Mama gerade sauer auf Kiara, weil sie in einer Clique rumhängt, in der auch mal Joints kreisen.«
    Das war interessant. Diese Informationen hatte Charly bis jetzt nicht gekannt. Vermutlich wusste es auch die AG Kiara nicht oder hatte die Tatsache nicht entsprechend gewichtet. Charly brummte ein unverfängliches »Mhmm«.
    »Und das Gutachten vom Rechtsmediziner sagt, dass man sich solche Schnitt- und Stichwunden, wie sie die Kiara hat, auch sehr gut selbst zufügen kann. Das wisst ihr aber schon?«
    Entweder bluffte Riederer jetzt, um zu sehen, wie Charly reagierte, oder er hatte wirklich derart gute Verbindungen, dass er von Gutachten sogar schneller erfuhr als die Auftraggeber. Auf jeden Fall wurde Charly das Gespräch zu heiß. Er brummte noch ein paar Antworten auf Riederers Feststellungen zur Personalmisere und zur Arbeitsbelastung und beendete dann das Telefonat.
    Charly erzählte Sandra und Helmuth vom Gesprächsinhalt und informierte dann Barsch. Den ließen die Informationen jedoch kalt. Nur die Erwähnung des Gutachtens veranlasste ihn zu einem Anruf im Institut für Rechtsmedizin.
     
    Es war noch eine Stunde bis Mittag. Darum beschloss Charly, bis zum Essen einige Schreibarbeiten zu erledigen und nachmittags Christian Bichler in seinem Büro zu besuchen. Helmuth durfte sich weiter um STUPID kümmern.
    »Zefix.«
     
    Die Behördenkantine befand sich im Finanzamt, unmittelbar neben dem Polizeigebäude. Die Polizeiangehörigen hatten das Pech, zusammen mit den Rentnern ab 11.30 Uhr für die Kantinenbenutzung eingeteilt zu sein. Denn danach war der Speisesaal für Finanzbeamte und andere Bedienstete der Stadt reserviert.
    Nichts gegen die Rentner, dachte Charly oft, aber beim Essen bringen sie eine gewisse Unruhe hinein. Anscheinend lag bei den Senioren das Mittagessen in der Kantine immer zeitlich dicht gedrängt zwischen Sonderangeboten und einem Friseurtermin, dem Wochenmarkt und dem Schrebergarten oder zwischen dem Arztbesuch und dem Altennachmittag. Was Hektik bedeutete, wurde anschaulich vermittelt, wenn nicht einmal die Zeit blieb, zum Essen den Fahrradhelm abzunehmen, den Anorak auszuziehen und die Hosenklammern abzustreifen.
    Vor Charly stand eine kleine alte Frau mit einer lila Wollmütze aus luftig gehäkelten Maschen und praktizierte den beliebten Beilagentausch. »Könnt ich zu meinem Pangasius ein bisserl Kraut haben und statt der Kartoffeln ein kleines Stückchen Gemüsestrudel? Ist in dem Kraut Kümmel drin? Wissen S’, da krieg ich dann immer Probleme. Ach, lassen S’ das Kraut weg. Letztes Mal war auch Kümmel drin. Da hab ich die ganze Nacht nicht geschlafen.«
    Vor der Kasse stand sie wieder vor ihm und diesmal spielte sie das ebenso beliebte Kleingeldsuchen. Doch endlich waren auch Sandra, Helmuth und Charly mit ihren Tabletts an einem Tisch gelandet.
    Charly vermied es, sich umzusehen. Das hatte er früher öfter vor dem Essen gemacht. Dabei sah er dann Gesichter, die sich bis knapp über den Suppenteller beugten und in deren geöffnete Münder in rascher Folge Suppe geschaufelt wurde. Er hatte gesehen, wie sich Ober- und Unterlippen wölbten, weil dahinter mit der Zunge Essensreste aus Zähnen – oder dem entsprechenden Ersatz – gepult wurden. Und hie und da verschob sich ein Gebiss, löste sich von den Kiefern und klapperte zu den S- und F-Lauten der Gespräche.
    Er hatte beobachtet, wie es aussah, wenn man sich sein Menü bereits auf dem Weg zur Ausgabetheke aussuchte, indem man im Vorbeigehen die Teller der Essenden ganz genau und möglichst aus der Nähe inspizierte. Und er hörte den einen oder anderen Gesprächsfetzen, in dem Krankheiten, Operationen, geriatrische Leiden und Behandlungsmethoden erläutert wurden. Und manchmal war Charly durch den

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