Bauernopfer
eine fröhliche, aber lange Nacht hinter sich. Um Barsch nicht zu unterbrechen, und weil Charly die Neuigkeiten zuerst allein hören wollte, legte er den Finger auf die Lippen und deutete Helmuth an, bis nachher zu warten.
In der Besprechung ging es wie immer hauptsächlich um die AG Kiara. Die Beamten hatten mittlerweile 21 Straftäter überprüft. Eine heiße Spur war noch nicht dabei. Allerdings hatten für morgen zwei Profiler aus München ihr Kommen zugesagt. Davon erwartete man sich große Fortschritte.
Im Büro klammerte sich Helmuth an seine Kaffeetasse und begann endlich zu erzählen. Nachdem er gestern einige Stunden die Daten in STUPID erfasst hatte, musste er einfach raus, weg vom Computer. Und weil das Letzte, was er eingegeben hatte, Christian Bichlers Alibi im Tennis-Club gewesen war, hatte er beschlossen, dort hin zu fahren. »Ich kenn da nämlich einen sportlichen Vorruheständler, der im Donau-Ruder-Club so eine Art Platzwart spielt. Der verbringt jede freie Minute in dem Verein.«
Diesen Bekannten hatte er gestern Nachmittag besucht. Nach dem allgemeinen Smalltalk hatte Helmuth den Mann direkt gefragt, ob er Bichler am Samstagnachmittag gesehen habe. »Und siehe da«, sprach Helmuth in seine Kaffeetasse, »mein Platzwart war den ganzen Samstag auf dem Gelände. Aber der Bichler war nicht da, da ist er sich sicher.«
Helmuth hatte mit dem Frührentner ein interessantes Gespräch geführt. Bichler kam schon lange nicht mehr samstags, hatte er erfahren. Jeden Mittwoch, aber nicht samstags. Wo Bichler seine Samstage verbrachte, wusste der Bekannte nicht. Aber es gab einige ausgesuchte Tennisfreunde von Bichler, die im Falle eines Falles, wenn wider Erwarten seine Frau anrufen sollte, sagen mussten, er sei eben mit einem verletzten Mitspieler zum Arzt gefahren und habe sein Handy in der Garderobe vergessen. Außerdem hatte Helmuth erfahren, dass es um Bichlers Finanzen nicht so gut stand, wie es nach außen hin aussah. Bichler hatte erst vor Kurzem, während eines feuchtfröhlichen Vereinsabends, gejammert, weil er mit Aktien gewaltige Summen verzockt hatte. Darüber hinaus hatte er zu fortgeschrittener Stunde den aufwendigen und exklusiven Lebensstil seiner Frau beklagt, der ihn noch in den Ruin treiben würde. Es war eigentlich ein Tabu, gegenüber Clubmitgliedern finanzielle Engpässe erkennen zu lassen. Doch Helmuths Bekannter fungierte nicht nur als Platzwart im Verein, er bekleidete auch die Funktion des Beichtvaters und Seelsorgers, wenn der Alkohol die tiefsten Wahrheiten nach oben trieb.
»In vino Veritas!« Helmuth lächelte merkwürdig. »Dann ist noch ein anderer meiner Bekannten gekommen, auch Tennisspieler. Der ist bei der Sparkasse, irgendwas in der Führungsmannschaft. Zuerst wollt er mir gar nix sagen, ist ja klar. Aber später, nach zwei Weizen und drei Obstlern und wegen der guten alten Zeiten, hat er mir unter der Hand bestätigt, dass der Bichler ganz schöne Bolzen hat. Also nicht nur ein bisserl verzockt, sondern voll neiglangt in Dreck.«
Dann versank Helmuth in seine Kaffeetasse und konzentrierte sich auf seinen schweren Kopf. Die Gespräche hatten sich bis nach Mitternacht hingezogen, was Helmuths abgerissenes Aussehen erklärte. Auch Charly und Sandra dachten schweigend über die neuen Informationen nach.
»Aber eins sag ich dir gleich«, meldete sich Helmuth noch einmal, »da schreib ich keinen Aktenvermerk nicht drüber, weil mir das alles nur inoffiziell erzählt worden ist. Und in dein dämliches Programm trag ich’s auch nicht ein!«
Charly lehnte sich zurück und streckte die Beine unter den Tisch. Das lapidare Wort ›Muskelkater‹ wurde dem Stechen in seinen Oberschenkeln in keiner Weise gerecht.
»Da brauchst nichts schreiben«, beruhigte er Helmuth. »Den Tennis-Bichler können wir selber fragen. Die Auskunft, dass er beim Tennisspielen war, haben wir nur von seiner Frau. Er muss ja dann irgendwas dazu sagen.«
»Also lügt uns der große Bruder an. Der Kleine lügt wahrscheinlich auch, der war am Samstagabend gar nicht zu
Hause. Beide haben ein Motiv und keinem tut es leid, dass der alte Bichler tot ist«, schaltete sich Sandra ein.
»Ob der kleine Bruder lügt, wissen wir noch nicht. Den hat nur die neugierige Nachbarin nicht gesehen.« Charly zog die Beine wieder an, sog hörbar die Luft ein und stand dann umständlich auf. »Den möcht ich aber jetzt noch nicht fragen. Wenn er sagt, er ist früh ins Bett gegangen und hat kein Licht gemacht,
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