Bauernopfer
es nieselte, als Charly nach Hause kam. Er beschloss, bei diesem Wetter nicht zu joggen, sondern schwimmen zu gehen. Man nahm zwar beim Schwimmen angeblich nicht ab, aber gut für den Kreislauf und die Kondition war es allemal. Und im Erlebnisbad Wonnemar könnte man hinterher bei diesem Mistwetter ja vielleicht die Sauna nutzen oder im Whirlpool entspannen.
Die Kinder waren nicht zu Hause. Julia war noch im Stall und Ludwig mit einem Freund im Kino. Darum genossen sie ihr rohköstliches Abendessen nur zu zweit: Tomaten, Gurken, Paprika, Gelbe Rüben, Joghurt-Dip und Vollkornbrot. Dazu einen Fitness-Brotaufstrich mit Kräutern der Saison und eine Wellness-Creme mit irgendwelchen rechtsdrehenden Kulturen, das aktuelle Kombi-Angebot der örtlichen Metzgerei und von dieser selbst kreiert. Kein Schinken, keine Salami, keine Butter, kein Bier. Als Petra in seinem Essverhalten eine leichte Zurückhaltung zu bemerken glaubte, beruhigte sie ihn mit dem Hinweis, er dürfe ruhig alles aufessen. »Wenn Ludwig nach Hause kommt, wärm’ ich ihm die Spaghetti vom Mittagessen auf.«
Mit der selbstgemachten pikanten Hackfleischsoße, dachte Charly. Die mochte auch er so gern, wenn der geriebene Emmentaler darin schmolz und lange Fäden zog.
»Aber Julia?«, fragte er hoffnungsvoll.
»Ach, die macht sich gern mal eine Tiefkühlpizza warm.«
Die mit dem hohen, luftigen Rand, belegt mit Champignons, Schinken, Salami und Peperoni. Charlys Lieblings-Tiefkühlpizza.
Petra hatte keine Lust, schwimmen zu gehen. Also fuhr er allein in die Stadt, parkte vor dem Erlebnisbad und bezahlte die Single-Abendpauschale. Erfreut stellte er fest, dass der frühe Abend die beste Zeit war. Die Kinder und Familien waren jetzt zu Hause beim Abendessen und die Pärchen, Cliquen und Workaholics, die den Abend in dem Bad genießen wollten, waren noch nicht da. Auch die Hausfrauen, die gewöhnlich im Pulk wie eine Gänseschar und genauso laut schnatternd ihre Runden drehten und dabei zwei oder drei Bahnen belegten, waren nirgends zu sehen. Das Wellenbad war völlig leer und im Außenbecken tummelten sich einige Pärchen, die eng umschlungen den Kontrast zwischen warmem Wasser und kaltem Nieselregen genossen. Im 25-Meter-Becken zogen drei Schwimmer ihre Bahnen. Ein auffällig behaarter Mann kraulte im bedächtigen Langstreckenstil auf und ab. Ebenfalls im Kraulstil, aber deutlich schneller, schwamm eine junge Frau in einem sportlichen weißen Badeanzug. Eine andere junge Frau in einem schwarzen Bikini übte sich im zügigen Brustschwimmen.
Wegen der tief hängenden Regenwolken war es draußen bereits dunkel. Die Unterwasserscheinwerfer ließen das Wasser einladend blau leuchten und zeichneten im Gegenlicht die Silhouetten der Schwimmer. Die beiden Frauen hatten sportliche Figuren, aber vor dem Haarigen brauchte sich Charly nicht zu verstecken. Er war breit und zog einen ansehnlichen Bauch durchs Wasser.
Charly kraulte los. Seine Technik hatte er seit dem Sportunterricht in der Schule beibehalten: drei Züge, rechts atmen, drei Züge, links atmen. Es funktionierte immer noch überraschend gut, und problemlos vollendete er die erste Bahn. Auf dem Rückweg begegnete er der Schwimmerin im weißen Badeanzug. 1, 2, 3, atmen. Die hatte einen tollen Stil. 1, 2, 3, atmen. Charly riskierte einen Seitenblick durch seine Schwimmbrille. Donnerwetter, die war wirklich sehr gut gebaut. Er konnte seinen Blick gar nicht abwenden. 1, 2, 3, 4, atmen, schluck, hust.
Prustend schwamm Charly mit ein paar unbeholfenen Ruderern ein wenig zur Seite und stieß mit der Schulter gegen etwas anderes. 1, 2, hust. Das musste die Frau in dem schwarzen Bikini sein. Obwohl die Berührung nur den Bruchteil einer Sekunde gedauert hatte, glaubte Charly zu spüren, wie warm und weich, direkt samtig sich der Körper anfühlte. 3, 4, schluck. Er drehte den Kopf und blickte in ein bärtiges Gesicht.
»’schulgung«, prustete Charly und der Haarige zwinkerte ihm zu und schwamm weiter. Noch einmal tauchte Charly kurz unter und sah dem weißen Badeanzug hinterher. Die war schon wirklich sehr gut gebaut. Wenn Frau Dorothea jetzt meine Gedanken lesen könnte, dann würde sie mich ans nächstbeste Kreuz nageln. Den Rest seiner Badezeit verbrachte er im Kochtopf, wie Petra den großen blubbernden Whirlpool nannte.
Als er nach Hause kam, hatte Charly Hunger. Doch die Spaghetti hatte Petra weggeworfen, weil Ludwig schon gegessen hatte und sie sich nicht getraut hätte, das Hackfleisch am nächsten
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