Bauernopfer
Tag noch einmal aufzuwärmen. Pizza war keine mehr da, Julia hatte die letzte aus der Tiefkühltruhe geholt und bis zum letzten Rand aufgegessen. Also schmierte er sich ein Vollkornbrot mit Wellness-Creme, trank dazu ein stilles, natriumarmes Mineralwasser und ging kurz darauf ins Bett.
Mittwoch, 22. Oktober
Es hatte zwar aufgehört zu regnen, aber am Himmel hingen noch immer bedrohlich dunkelgraue Wolken. Es war kühl und der Wetterbericht ließ keinen Zweifel daran, dass der goldene Herbst vorüber war. Um 10.00 Uhr rief eine nette Dame vom Amtsgericht an und teilte mit, dass die Beschlüsse für die DNA-Proben vom Richter unterschrieben seien und abgeholt werden könnten. Sandra schlüpfte in ihre Daunenjacke und machte sich auf den Weg. Charly blieb allein im Büro zurück, denn Helmuth war noch nicht aufgetaucht. Vermutlich hatte er den Auftrag von gestern sofort in Angriff genommen, und die Ermittlungen hatten sich wieder über die halbe Nacht erstreckt. Die Bürotür war schon wieder geschlossen und Charly wunderte sich darüber, dass es ihn nicht störte. Aber in letzter Zeit führten Sandra, Helmuth und er ein relativ isoliertes Eigenleben. Von den Kollegen war keiner mehr ansprechbar. Vor allem Barsch war ständig gereizt, wirkte überfordert und gestresst. Seit dem Zeitungsbericht vom Wochenende war der Druck auf die AG Kiara noch gewachsen. Sie mussten demnächst irgendwie Ergebnisse vorzeigen und arbeiteten mit Hochdruck. Bierschneider ließ keine Gelegenheit aus, auf angebliche Versäumnisse und die schleppenden Ermittlungen durch die Polizei hinzuweisen, und die Frauenbeauftragte des Präsidiums hatte die Polizeidirektion offiziell dazu aufgefordert, der AG Kiara jede notwendige Unterstützung zukommen zu lassen. Die Frühbesprechungen fanden nicht mehr statt, da die AG-Mitglieder keine Zeit hatten für derartige Kaffeerunden, wie der Chef die Lagebesprechungen jetzt titulierte. Barsch warf die alltäglichen Ermittlungsfälle kommentarlos in Charlys Fach. Der setzte sich morgens mit Sandra und Helmuth in seinem Büro zusammen, irgendeiner holte Kaffee für alle und sie besprachen die Neuigkeiten und die Aufgaben für den Tag unter sich.
Der Kaffee hatte heute besonders gut geschmeckt, und nachdem er von dem Birchermüsli, das ihm Petra zum Frühstück angeboten hatte, unter Hinweis auf eine sporadisch auftretende Haferflockenallergie nur einige Löffel hatte essen können, war ihm in der Bäckerei seines Vertrauens trotz der frühen Stunde schon eine Schnitzelsemmel mit Salat ins Auge gestochen, die er dann auch mit größtem Appetit zum Frühstück genossen hatte. Derart gestärkt nahm er sich eine Anzeige gegen einen Exhibitionisten in der Tiefgarage am Münster vor und begann sich gerade darüber zu wundern, wie genau die beiden Anzeigeerstatterinnen das Corpus Delicti beschreiben konnten, als die Tür aufflog und Fischer sich breit grinsend in den Rahmen lehnte.
»Bingo«, sagte er.
Der Spurensicherer hielt Charly ein Blatt entgegen, das er an dem groben schwarzweißen Layout als Fax identifizierte. Auf dem Formblatt war das Logo des Bayerischen Landeskriminalamtes zu erkennen, den Text konnte er auf die Entfernung allerdings nicht entziffern.
»Soeben Mitteilung vom LKA: DAD-Treffer!« Fischers Augen leuchteten und er wollte gerade weitersprechen, als sich Helmuth an ihm vorbei durch die Tür quetschte.
Helmuth sah furchtbar aus. Das runde Gesicht war unbeschreiblich blass und die dunklen Augenringe wirkten beinahe so kontrastreich wie das Logo auf dem Fax. Vermutlich hatte das blonde Haar des Kollegen heute noch keinen Kontakt mit einer Bürste gehabt und der glasige Blick schien um gedämpfte Töne zu betteln. Obwohl es im Büro angenehm warm war, ließ Helmuth seine gefütterte Jeansjacke an, setzte sich Charly gegenüber an den Schreibtisch und hielt sich mit beiden Händen an seiner mitgebrachten Kaffeetasse fest.
»DAD, was’n des?«, fragte er leise.
»Moing, Helmuth, gut schaust aus«, antwortete Charly. »Die DAD ist die DNA-Analyse-Datei. Die große Datenbank beim LKA, in der die DNA-Muster gespeichert werden. Alle Tatortspuren und die Muster von Personen, die bei uns eine Speichelprobe abgeben müssen. In der DAD werden alle Muster miteinander verglichen und die Maschine spuckt einen Treffer aus, wenn sie irgendwas findet, was zusammenpasst.«
Helmuth nickte vorsichtig und nippte an seinem Kaffee. Wieder an Fischer gewandt, fragte Charly: »Person?«
»Nein, Spur-Spur.«
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