Bauernopfer
Der Erkennungsdienstler setzte gerade zu einer Erklärung an, als Sandra sich an ihm vorbei durch die Tür zwängte.
Unter dem Arm trug sie einen roten Aktendeckel der Staatsanwaltschaft und beim Vorbeigehen warf sie einen kurzen Blick auf das Fax in Fischers Händen.
»Spur-Spur? Hab ich was versäumt? Moing, Helmuth, gut schaust aus!«
Fischer sah sich um, ob nicht noch jemand ins Büro wollte. Dann machte er einfach selbst zwei Schritte nach vorne und reichte Charly das Fax. »Die DNA-Spur, die ich an den Magazinlippen der Tatwaffe gesichert habe, ist in allen Merkmalen identisch mit einer Tatortspur von früher.«
Die genannten Merkmale waren quasi der Fingerabdruck einzelner Bauteile einer DNA-Spur, die sich letztendlich als Zahlenpaare mit einer Kommastelle darstellten und so vergleichbar waren. Stimmten acht dieser Zahlenpaare überein, führte dies in einem späteren Gutachten zu der Aussage, dass die Wahrscheinlichkeit, die gleiche DNA unter der Weltbevölkerung noch einmal zu finden bei 1 zu einigen 100 Milliarden lag.
»Unsere Spur aus dem Fall Bichler trifft einen Raubmord von 1975«, fuhr Fischer fort. »Bearbeitet von der KPI Ingolstadt. DNA gewonnen aus dem Fingernagelschmutz des Opfers. Aktenzeichen steht auf dem Fax. Mehr weiß ich noch nicht.« Fischer wünschte noch einen schönen Tag und verließ das Büro. Charly betrachtete das Fax. Eigentlich hatte Fischer schon alles gesagt, was die nüchterne, vom Computer automatisch erstellte Datenbankauskunft des LKA hergab. Nur das Datum, an welchem die Altspur erfasst worden war, konnte man zusätzlich ablesen: Es war jetzt drei Jahre her.
Sandra sah ihn aus strahlenden, Helmuth hingegen aus glasigen Augen an, und er beantwortete die fragenden Blicke, ohne dass die Frage gestellt wurde: »Jedes Jahr wird die Überprüfung von einem oder mehreren ungeklärten Altfällen in die so genannten Zielvorgaben aufgenommen, die sich die KPI selbst setzt. Der jeweilige Sachbearbeiter liest sich dann in die alten Akten ein und beurteilte den Fall quasi aus der Warte eines unvoreingenommenen Beobachters.«
»So eine Art nachträgliches Vier-Augen-Prinzip, oder?«, bemerkte Sandra.
»Genau! Ergeben sich Widersprüche oder Ansatzpunkte für neue Ermittlungen, wird der Vorgang oder Teile davon neu aufgerollt«, erklärte Charly weiter.
Manchmal stieß man in den alten Akten auch auf Asservate, die zwar aus irgendeinem Grund gesichert worden waren, die aber mit den damals zur Verfügung stehenden Methoden nicht weiter hatten untersucht werden können. Darum wurden manchmal erst Jahre später Spuren zur Untersuchung geschickt. So war es wahrscheinlich auch bei diesem Raubmord aus dem Jahr 1975. Vor drei Jahren hatte ein Kollege den Vorgang durchforstet und war dabei auf den sichergestellten Fingernagelschmutz des Opfers gestoßen. Seinerzeit routinemäßig sichergestellt, um das Material im Falle einer Festnahme nach dem damaligen Stand der Technik mit dem Tatverdächtigen zu vergleichen, bot sich heute die Möglichkeit, die Spur auszuwerten und in die Datenbank einzustellen. DNA-Material, wenn es richtig gesichert und asserviert wurde, war nahezu unbegrenzt haltbar. So hatte die Untersuchung vor drei Jahren tatsächlich eine vollständige Spur mit acht Merkmalen ergeben. Und die hatte jetzt zum Treffer in dem aktuellen Fall geführt.
»Um die alten Akten kümmern wir uns jetzt gleich«, entschied Charly. Er blätterte in dem roten Aktendeckel mit den Beschlüssen zur DNA-Untersuchung der Bichlers. »Die laufen uns nicht davon, das machen wir später. Erst müssen wir wissen, was mit diesem alten Raubmord los ist, und wo die Verbindung zu unserem Fall liegt.« Er schlug den Aktendeckel zu und dann mit der flachen Hand auf den Tisch. »Aber zuerst wollen wir wissen, was deine Ermittlungen ergeben haben, Helmuth!«
Der Angesprochene zuckte zusammen. Der Schlag musste in seinem schmerzenden Kopf wie eine Explosion dröhnen. Er versank noch tiefer in seine Jacke und brummte: »Nix!« Nach einer kurzen rhetorischen Pause sprach er wie Dr. Faust zu seinem Totenkopf zu seiner Kaffeetasse, die er immer noch mit beiden Händen umklammerte.
Er hatte seine Untersuchungen gestern nach Feierabend im Hundszeller Sportheim begonnen. Dort kannten sie Manfred Bichler natürlich. Er war jeden Samstag da und sah sich als begeisterter Fan die Spiele des FC Bayern auf dem riesigen Fernsehschirm an. Meistens verließ er kurz nach Spielende das Lokal, außer jemand hatte einen
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