Bauernopfer
im Wintergarten den Kaffee hergerichtet habe.
Vom Wintergarten aus glich der Garten einem kleinen Paradies und der Kaffee schmeckte fantastisch. Charly erkannte das Geschirr als Romanze von Rosenthal, behielt seine Erkenntnis aber für sich, um nicht vor dem pensionierten Kollegen, der bestimmt noch andere Vorstellungen von der Rollenverteilung hatte, vielleicht am Ende in den Verdacht andersartiger sexueller Veranlagung zu geraten.
»Rosenthal, Romanze]«, sagte Stöbner und hob seine Tasse hoch. »Ein wunderschön’s G’schirr, oder? Kommt nur raus, wenn b’sondere Gäst kommen.«
»Ich versteh nix von Kaffeegeschirr. Ist aber recht hübsch.« Charly nahm einen großen Schluck.
»Habt’s Glück, dass wir grad da sind«, stellte Stöbner dann fest. »Letzte Woch war’n wir noch in Ägypten und in zwei Wochen fliegen wir für 14 Tag in die Türkei.«
»Wir sind nur da, weil unser Enkerl dieses Wochenend’ Geburtstag hat«, ergänzte Lisa.
»Und für Silvester ham wir gestern Lanzarote gebucht,« meldete sich Stöbner wieder.
Eigentlich brannten Charly die Fragen nach dem alten Fall unter den Nägeln. Er hatte es fast nicht abwarten können, den pensionierten Kollegen aufzusuchen. Doch jetzt wirkte die Atmosphäre des gemütlichen Wintergartens, der Ausblick auf den Garten und der duftende Kaffee in dem eleganten Geschirr, und Charly spürte, wie er sich entspannte. Er würde schon noch erfahren, was er wissen musste. Auch Sandra machte keine Anstalten, nach dem Raubmord zu fragen. Beide genossen die Oase der Ruhe im Hause Stöbner. Es machte Spaß, dem Ehepaar zuzuhören, das im Laufe der Jahre zu einer Einheit geworden war. Es war direkt rührend zu beobachten, wie sie sich beim Erzählen abwechselten, sich gegenseitig aufmerksam zuhörten und sich dabei anlächelten.
Seit Luk pensioniert war, gehörte das Reisen zu ihren Leidenschaften. Sie verreisten hauptsächlich Anfang des Jahres und im Herbst, natürlich immer außerhalb der Ferien. Dabei legten sie keinen Wert auf Badestrände und Animationsprogramm, sondern interessierten sich für Land und Leute.
Die machen das richtig, dachte Charly. So wollten er und Petra es später auch machen. Da war es wieder, dieses oft so leichthin gebrauchte Wort, das bei näherer Überlegung manchmal einen ganz üblen Beigeschmack hatte und ein ungutes Gefühl verursachte: später. Charly hatte diese Diskussion schon oft mit seiner Frau geführt. Immer wenn aus dem Dorf oder der näheren Umgebung ein junger Mensch sein Leben viel zu früh verlor, dann stellten Charly und Petra fest, dass sie sich ihre Wünsche erfüllen sollten, solange es noch ging. Dann schmiedeten sie Pläne, wohin sie zuerst fahren wollten und welche Aktivitäten sofort angepackt werden sollten. Doch meistens scheiterten die Vorhaben an einer Folge unaufschiebbarer Termine, einer Kommunion, einem runden Geburtstag, einer Abschlussprüfung oder einem ersten Arbeitstag. Da musste zuvor tagelang geputzt, gebacken und gekocht werden, der Rasen gemäht, der Gang geweißelt und das Auto gewaschen, es musste unterstützt, aufgebaut, getröstet und abgefragt werden. Und plötzlich war die Zeit zu knapp, um eine Woche zu verreisen. Die großen Pläne wurden langsam wieder vom grauen Staub des Alltags zugedeckt und schließlich unter der immer dicker werdenden Schicht erstickt. Das Schicksal des unglückseligen Bekannten, der die Welt vor der Verwirklichung seiner Träume hatte verlassen müssen, verblasste zu einer Erinnerung, die man wie ein Herpesbläschen mit sich herumtrug: irgendwie ein wenig unangenehm, aber es wird schon wieder. Momentan war eben einfach keine Zeit, um mehr als eine Kaffeepause oder einen Nachmittag auf der Gartenliege zu genießen. Man arrangierte sich und nahm sich fest vor, später alles nachzuholen – wenn’s dann noch ging.
Nachdem Luk und Lisa ausführlich von einem Kurztrip nach Rom geschwärmt hatten, fragte der Ex-Kollege, wer denn jetzt eigentlich der Chef der Kripo sei und als Charly ihm den Namen nannte, lachte Stöbner. »Der Conny, um Gottes willen, der hat doch schon früher nicht g’wusst, wo bei der Polizei vorn und hinten ist.«
Endlich erinnerte sich Charly an den eigentlichen Grund des Besuches. Er fragte nach dem Raubmord von früher und berichtete von den verschwundenen Akten.
»Ach, der Fall Spachtholz.« Stöbner konnte sich gut daran erinnern. Es war eines von zwei ungeklärten Kapitalverbrechen in Stöbners Laufbahn und solche Fälle ließen einen
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