Bauernopfer
rechtzeitig anhalten konnte. Nur ein älterer Herr mit einer braunen Aktentasche reckte die Faust in den Himmel und schimpfte dem Dienstwagen hinterher.
»Diese Frau Berthold kommt jeden Samstag ins Heim und beschäftigt sich mit den alten Leuten.«
Charlys Finger begannen zu schmerzen.
Nach der neuen Donaubrücke hatte sich ein Stau auf der Rechtsabbiegerspur gebildet. Helmuth fuhr links daran vorbei und hielt vorne an der roten Ampel an. Als sie auf Grün schaltete, zwängte er sich nach rechts in eine viel zu kleine Lücke und bog ab. Der Hintermann hupte und Charly musste sich zwingen, mit dem Zähneknirschen aufzuhören, um keinen Gebissschaden zu erleiden.
»Sie liest ihnen aus der Zeitung vor, spielt mit ihnen Mensch-ärger-Dich-nicht oder hört ihnen einfach zu.«
Ein zustimmendes Brummen war alles, was sich Charly zu äußern traute, ohne Gefahr zu laufen, die Beherrschung zu verlieren. Stattdessen versuchte er, sich auf die bevorstehende Durchsuchung zu konzentrieren.
»Ehrenamtlich. Die ist bei den Alten richtig beliebt. Die warten schon immer auf sie.« Helmuth überholte noch einen Kleinwagen, der zwar selbst schon deutlich schneller fuhr als erlaubt, dessen Geschwindigkeit aber Helmuth offenbar für die breite Ausfallstraße zu niedrig erschien. Dann erreichten sie, Gott sei Dank, die Firma. Einer der Kundenparkplätze vor dem Eingang war frei und Helmuth stellte den Audi dort ab. Seit geraumer Zeit hatte Charly die Lippen aufeinander gepresst, um nichts zu sagen, was er hinterher eventuell bereuen würde. Langsam löste er seine verkrampften Finger vom Türgriff und stieg erleichtert aus. In einer Pfütze neben dem Wagen stehend blinzelte er in die grelle Herbstsonne.
Frau Berthold trug diesmal ein elegantes, aber schlichtes Kostüm und Charly stellte fest, dass sie darin noch jünger und flotter aussah, als in dem Trachtenlook vom letzten Mal. Die Mitteilung über die bevorstehende Durchsuchung nahm sie mit einer kurzzeitig hochgezogenen Augenbraue, aber ansonsten ungerührt entgegen. Gessler war in der Firma unterwegs und nach drei Telefonaten hatte Frau Berthold ihn erreicht.
»Was liegt an, meine Herren? Grüß Gott«, rief er schon vom Flur aus, den er mit dynamischen Schritten durchmaß, während er unterm Gehen in sein Sakko schlüpfte. Er legte ein Paar Arbeitshandschuhe auf dem Schreibtisch seiner Sekretärin ab und reichte den Kriminalern die Hand. Charly übergab ihm eine Abschrift des Durchsuchungsbeschlusses, ließ ihm dann aber kaum Zeit zum Durchlesen, bevor er ihm die Situation erklärte.
»Wie … äh … was hoffen Sie denn zu finden?«, fragte Gessler verdattert.
»Haben Sie eine Schusswaffe?« Charly hatte sich für die direkte Konfrontation entschieden. Vielleicht konnte er den selbstsicheren Geschäftsmann aus der Reserve locken oder ihm zumindest die Möglichkeit nehmen, sich eine Story zurechtzulegen.
Und tatsächlich wurde Gessler bei der Frage zuerst bleich und dann rot. Nervös wanderte sein Blick von Charly zu Helmuth und wieder zurück, dann rang er sich zu einer Antwort durch. »Ja, ich habe eine.«
»Marke?«
»Browning, glaub ich.«
»Nach unseren Erkenntnissen haben Sie aber keine behördliche Erlaubnis dafür.«
Gessler ließ die Schultern sinken. »Sie haben recht, ich habe dafür keinen Waffenschein oder was ich auch immer dafür brauche.«
»Waffenbesitzkarte«, belehrte ihn Helmuth, der mit verschränkten Armen im Türrahmen lehnte.
Gessler sah ihn verständnislos an. Dann straffte er sich wieder. Und als hätte er für sich entschieden, dass der illegale Besitz einer Schusswaffe gar nicht so verwerflich war, begann er unaufgefordert die Herkunft der Pistole zu erklären. »Während einer Geschäftsreise in Malaysia ist mal das Gespräch auf das Thema Selbstschutz gekommen.« Er zuckte mit den Schultern. Seine Geschäftspartner wären sehr überrascht gewesen, dass er als international agierender Geschäftsreisender nicht im Besitz einer Waffe war. Sie vermittelten einen Kontakt, und er kaufte einem kleinen Asiaten in einem speckigen grünen Anzug die Pistole ab, die später mit der Geschäftspost, eingearbeitet in eine kleine Holzkiste, nach Deutschland geschickt worden war. »Ich habe vor Jahren zwei- oder dreimal in einem Steinbruch damit geschossen und sie seitdem nicht mehr benutzt.«
»Und wo is’ jetz’?« Helmuth war mit der Frage schneller als Charly, der noch über eine subtilere Formulierung nachdachte, doch das Ergebnis war
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