Bauernopfer
der Durchsuchung und dem Vorwurf unterrichtet und ihm die Geschichte von früher offenbart, woraufhin der Rechtsanwalt beim abendlichen Saunagang das seine getan hatte, um die Sache in die rechten Bahnen zu lenken.
Bierschneider sah demonstrativ auf seine Rolex, und da Charly in der momentanen Situation nichts anderes übrig blieb, nahm er sein Diktiergerät zur Hand, belehrte Gessler pflichtgemäß darüber, dass er bei der Polizei keine Angaben zu machen brauche, und begann dann mit der Vernehmung. Stockend und mit unsicherer Stimme, was so gar nicht zu der Erscheinung des agilen Geschäftsmannes passte, begann Gessler, immer wieder unterbrochen von seinem Verteidiger, der jeweils die rechte Hand leicht anhob und daraufhin eine Passage selbst formulierte, über das Geschehen von damals zu berichten.
Er war als junger Ingenieur in das Unternehmen des Johann Spachtholz eingetreten und hatte die Verantwortung für den Produktivbereich übernommen. Die Firma Spachtholz war ein Traum für einen fähigen Techniker gewesen. Ausbaufähig in jede Richtung, von den Arbeitsabläufen, die optimiert werden mussten, über Arbeitsmethoden, die zur Steigerung der Produktivität modernisiert und effizienter gestaltet werden konnten, bis zur Erweiterung der Produktpalette und zur Spezialisierung. Und Gessler hatte damals die Ideen, das Knowhow und sogar die Verbindungen zu potenten Geschäftspartnern, um die Firma ganz gewaltig voranzubringen. Doch der alte Spachtholz war ein einfacher Handwerker, für den das höchste Glück war, einer täglichen Arbeit nachgehen zu können. Wenn er dabei genug Geld verdiente, um seinen einfachen, anspruchslosen Lebensunterhalt zu bestreiten, so war ihm das genug. Gessler hingegen wollte mehr.
»Schließlich ging es ja auch damals schon um Arbeitsplätze«, schob Bierschneider ein.
Spachtholz hatte Gesslers Ideen und Vorschläge in mehreren Diskussionen kategorisch abgelehnt. Zuletzt verbat er sich sogar weitere Gespräche zu diesem Thema. An jenem Samstagabend wollte Gessler einen letzten Anlauf wagen. Er hatte eine Mappe mit umfassenden Berechnungen unter den Arm geklemmt, als er das Haus seines Chefs betrat. Aus seinen Aufzeichnungen ging eindeutig hervor, dass der Betrieb problemlos und ohne unternehmerisches Risiko vergrößert werden konnte, bis zum zwei- oder sogar dreifachen des augenblicklichen Umsatzes. Er hatte alles genau durchgerechnet und wollte die Zahlen schwarz auf weiß vorlegen. Spachtholz kam ihm in der Diele entgegen, die Daumen hinter die Hosenträger geklemmt, und dirigierte ihn ins Wohnzimmer. Sie setzten sich an den gefliesten Tisch und Gessler öffnete seine Mappe. Schon als er Spachtholz den Grund für seinen Besuch eröffnete, zeigte dieser sich sehr gereizt. Dennoch ließ er seinen Angestellten mit der Zahlenparade beginnen. Mitten im Vortrag des Ingenieurs jedoch erhob sich Spachtholz und mit einer abfälligen Handbewegung wischte er die Blätter mit den Zahlenkolonnen vom Tisch. »Ein für alle Mal, Herr Gessler: Ich bin hier der Chef und ich sage, in meiner Firma wird nichts verändert. Und das ist jetzt mein letztes Wort. Und wenn Ihnen das nicht passt, Herr Ingenieur, dann müssen Sie sich eben nach einer anderen Stelle umsehen. Ich werde Sie nicht aufhalten!« Gessler war verblüfft und überrascht und wusste nicht, was er noch sagen sollte. Diese Borniertheit, diese Sturheit, ja diese Dummheit – das konnte doch nicht wahr sein. »Bei mir gibt es diesen modernen Firlefanz nicht«, zeterte Spachtholz weiter. »Der Betrieb bleibt, wie er ist. Keine Veränderungen, sag ich. Nur über meine Leiche!« Dabei wendete er sich von Gessler ab.
»Da hab ich dann den Aschenbecher …«, berichtete Gessler, doch Bierschneiders erhobene Hand gebot ihm Schweigen.
»Streichen Sie die letzte Bemerkung, das mit der Leiche mein ich«, korrigierte der Anwalt. »Mein Mandant verspürte in diesem Moment nur noch Frustration und Enttäuschung, da seine absolut realistische Geschäftsidee derart mit Füßen getreten wurde. Aus dieser extremen emotionalen Anspannung heraus entwickelte sich ein durch meinen Mandanten nicht mehr zu beherrschendes Maß an Aggression.«
Das konnte Charly nun gut nachvollziehen. Er schätzte, er stand selbst ganz kurz vor dieser emotionalen Anspannung.
»Mein Mandant griff nach dem Aschenbecher auf dem Wohnzimmertisch und wollte ihn eigentlich nur auf dem Boden zerschlagen, um seiner Aggression Luft zu machen. Aufgrund eines augenblicklichen
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