Bauernopfer
Kontrollverlustes, sozusagen ein nicht steuerbarer Reflex, schlug mein Mandant mit dem Aschenbecher dann in Richtung des Herrn Spachtholz und traf ihn dabei unglücklich am Hinterkopf.«
Spachtholz drehte sich noch um und versuchte sich festzuhalten. Er war aber durch den Schlag so benommen, dass er nach hinten stürzte und mit der linken Schulter an den Wohnzimmertisch prallte. Auf dem Rücken kam er zwischen Tisch und Kanapee zum Liegen, keuchend und stöhnend. Gessler machte zwei Schritte nach vorne und beugte sich über den alten Mann, der ihn aus trüben Augen ansah. Mit einem plötzlichen Ruck schnellten die knochigen Hände nach oben und umklammerten Gesslers Hals mit einer panischen, nur aus Todesgefahr erwachsenden Kraft. »Mörder«, keuchte er.
»Ich hatte den Aschenbecher noch …«
Wieder unterbrach Bierschneider die Ausführungen. »Löschen Sie das mit dem Mörder. Mein Mandant befand sich natürlich immer noch in dieser emotionalen Ausnahmesituation. Zudem war er jetzt noch erschüttert von dem, was er selbst getan hatte, ohne es zu wollen. In dieser Lage, absolut unfähig, die Situation auch nur annähernd rational zu analysieren, sah er sich einem lebensbedrohendem Angriff des Herrn Spachtholz ausgesetzt, der ihm die Kehle zudrückte. Der reine Selbsterhaltungstrieb veranlasste meinen Mandanten, mit dem Aschenbecher, den er noch in der Hand hielt, erneut zuzuschlagen, um sich aus dieser Situation zu befreien. Er traf dabei Herrn Spachtholz wieder am Kopf.«
Charly war so fassungslos, dass er mit offenem Mund und großen Augen von Bierschneider zu Gessler blickte und dabei vergaß, die Aussage auf Band zu sprechen. Erst als der Verteidiger auf seine Rolex tippte und eine auffordernde Geste vollführte, drückte Charly den Aufnahmeknopf. Er überlegte kurz, ob er sich einfach weigern konnte, diese Aussage aufzunehmen. Aber schließlich war es eine offizielle Beschuldigtenvernehmung und der Sinn einer derartigen Aussage war ja, dem Tatverdächtigen Gelegenheit zu geben, seine Sicht der Dinge zu offenbaren. Auch wenn die Darstellung so unverschämt war wie Bierschneiders Erklärungen. Jeder Ladendieb oder Wirtshausschläger durfte in seiner Aussage den Vorwurf völlig verdrehen und anders herum darstellen. Warum sollte es bei Mord und Totschlag anders sein? Also brachte Charly in knappen Sätzen die Aussage Bierschneiders aufs Band.
»Und dann? Warum haben S’ einen Diebstahl vorgetäuscht und die Spuren verwischt?«
»Ich …«, begann Gessler. Doch diesmal stoppte ihn sein Verteidiger schon, bevor er irgend etwas Falsches sagen konnte.
»Dieses Verhalten kann nur mit grenzenloser Verwirrtheit und absoluter Panik erklärt werden. In der einschlägigen Literatur finden Sie unzählige Fälle, in denen die Handelnden nach derart unglücklichen Begebenheiten die verrücktesten Verhaltensweisen an den Tag legen, ohne dafür irgendeine vernünftige Erklärung abgeben zu können.«
Charly spürte, dass er langsam genug hatte von dem Gesülze des Anwalts. Er lief Gefahr, die professionelle Distanz zu verlieren und seinem Gegenüber seine persönliche Meinung zu dem ganzen Theater zu verkünden. Das würde ihm zwar gut tun, der Sache aber nicht dienen. Er legte sein Diktiergerät beiseite, ohne die letzten Ausführungen aufgenommen zu haben. »Für mich schaut’s aber aus wie Spuren Verwischen nach einem Mord und eine falsche Spur Legen!«
»Blödsinn«, entrüstete sich Bierschneider. »Mein Mandant hatte nie die Absicht, Spachtholz zu töten. Das haben wir ja gerade dargelegt. Und mit dem Verwischen von Spuren hat das ganze wie gesagt nichts zu tun. Es ist eine rein panisch bedingte, nicht zu erklärende Nachtathandlung.«
»Sie hab’n zwei goldene Uhren, eine Münzsammlung und ein Sparbuch entwendet. Wo ist das Diebesgut?«, fragte Charly, an Gessler gewandt.
Bierschneider antwortete für seinen Schützling. »Ich verwahre mich gegen das Wort Diebesgut. Das Ganze ist Teil der zuvor erklärten Panikhandlung. Mein Mandant wollte sich nie persönlich bereichern. Das Sparbuch wurde verbrannt und die Uhren sowie die Münzen wurden einem Kinderheim in Malaysia gestiftet. Das können Sie dort sicher nachprüfen.«
»Kasperltheater, blödes«, brummte Helmuth von hinten, wo er bislang zusammen mit Sandra das Schauspiel schweigend und staunend verfolgt hatte.
Bierschneider würdigte ihn keines Blickes. Vermutlich war es unter seinem Niveau, mit polizeilichen Mitarbeitern zu sprechen.
Charlys Frage an
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