Bauernopfer
»Sandra, du probierst bitte, ob du von deinem Säbelzahntiger eine Mitarbeiterliste bekommst. Und dann überlegt ihr euch einen Fragenkatalog für die Vernehmungen.« Das war genau das Ergebnis, auf das Charly auch am Ende seines Waldlaufes gekommen war. »Ich werd die Gambrini-Steinmetz informieren und den Klaus bitten, uns Leute für die Befragung zur Verfügung zu stellen.«
Doch bevor er die Staatsanwältin anrufen konnte, klingelte das Telefon und der Beamte aus dem Aquarium unten in der Wache teilte mit, dass ein gewisser Herr Gessler in eigener Sache mit Charly sprechen wolle. Er habe auch einen Anwalt dabei.
Der Firmenchef betrat das Büro hinter seinem Rechtsbeistand und begrüßte die Ermittler ausgesprochen kühl. Dann setzte er sich auf den Stuhl, den ihm sein Anwalt anmaßend und selbstgefällig zugewiesen hatte. Der Anwalt selbst hatte zunächst seinen Trenchcoat über Charlys Stuhllehne gehängt, seinen Aktenkoffer auf Charlys Schreibtisch geknallt, ihn geöffnet und daraus einen dünnen Aktendeckel und einen schwarzgoldenen Kugelschreiber entnommen. Anschließend setzte er sich auf den anderen freien Stuhl, schlug die Beine übereinander, klickte die Mine des Kugelschreibers heraus und sah Charly an.
»Herr Valentin, nehme ich an«, sagte Bierschneider, konfliktfreudiger Rechtsanwalt, umtriebiger Stadtrat und Kiaras pressewirksamer Vater.
Charly nickte und lehnte sich zurück, wobei er hoffte, möglichst viele Knitterfalten in Bierschneiders Trenchcoat zu bügeln.
»Hier ist meine anwaltschaftliche Vollmacht, die ich Sie bitte, zu den Akten zu nehmen«, fuhr Bierschneider fort. »Mein Mandant möchte eine Erklärung zu Protokoll geben. Er räumt ein, am Ableben des Johann Spachtholz im Jahr 1975 beteiligt gewesen zu sein. Wir haben jetzt eine Stunde Zeit, Ihre Fragen zu beantworten, dann habe ich den nächsten Termin am Landgericht und mein Mandant wird nach Hause gehen.«
»Das wollen wir erst mal sehen«, protestierte Charly, »immerhin handelt’s sich um ein Tötungsdelikt.«
»Die Sache ist verjährt.«
»Mord verjährt nicht.«
»Wir sprechen von Körperverletzung mit Todesfolge.«
»Das ist doch lächerlich.« Charly ahnte Übles.
Von Anfang an war Bierschneiders Ton anmaßend und arrogant gewesen, jetzt klang er noch herablassender: »Aus Ihrer beengten Perspektive mag es Ihnen durchaus lächerlich erscheinen, das kann und will ich jetzt auch gar nicht ändern. Auf jeden Fall ist der Vorgang mit der Staatsanwaltschaft – wie sie ja wissen, die Herrin des Ermittlungsverfahrens – erörtert und es besteht mit der Verfolgungsbehörde Konsens dahingehend, dass pro forma ein Verfahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge gegen meinen Mandanten eingeleitet wird, das jedoch nach der Vernehmung aufgrund der Verjährung eingestellt werden wird. Ich bitte Sie also jetzt, diese Vernehmung durchzuführen. Wie ich bereits sagte, unsere Zeit ist begrenzt.«
Ganz tief in sich spürte Charly Aggression aufsteigen, die sich, nunmehr als solche erkannt und professionell unterdrückt, vorerst nur in einem kräftigen und beinahe schmerzhaften Aufeinanderpressen der Kieferknochen äußerte. ›Juristen-Aufguss‹, schoss es ihm durch den Kopf. Natürlich: gestern war Dienstag. Einen besseren Termin für die Aktion bei Gessler hätten sie gar nicht wählen können, denn alle 14 Tage am Dienstag trafen sich die lokalen Heroen der Justiz und der Rechtspflege in der Sauna des städtischen Hallenbades. Führende Köpfe der Staatsanwaltschaft, Richter, die Ingolstädter Anwaltsprominenz, Notare und dergleichen plauderten wie römische Senatoren, befreit von Roben und Talaren, von Hitze und Dampf beflügelt, über Lokalpolitik, städtische Skandale und Gerüchte, Kreuzfahrten, Golfplätze und Autos mit vier Ringen. Böse Zungen behaupteten ab und an, dass in derlei Schwitzorgien und danach bei süffigem Bier und edlem Wein auch durchaus die Chancen einer Klageerhebung in der einen oder anderen delikaten Angelegenheit ausgelotet wurden, dass gesprächsweise und unverbindlich die Bereitschaft zu Verhandlungen über das Strafmaß in diesem oder jenem Verfahren getestet wurde, dass verklausulierte Angebote vorgetragen oder die Grenzpflöcke für Kompromisse eingeschlagen wurden, oder dass ein Jurist aus der Praxis der täglichen Rechtsprechung um seine kompetente Begutachtung eines aktuellen Sachverhaltes gebeten wurde.
Auch Bierschneider war Saunafreund. Vermutlich hatte Gessler ihn gestern noch von
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