Bauernopfer
Mandanten zu imponieren, oder der Stadtrat, der immer wieder demokratische Entscheidungen vors Verwaltungsgericht bringt, um irgendwie Aufmerksamkeit zu erhalten?«
Auch ihm verweigerte Bierschneider nun eine Erwiderung, ebenso wie einen Abschiedsgruß. Stattdessen drehte er sich schwungvoll um und schritt mit wehendem Trenchcoat aus der Dienststelle.
»War was zwischen euch?«, wollte Charly nun von Helmuth wissen.
»Hm, nix … Gerede über früher, wir ham zusammen Fußball g’spielt. Der war damals schon ein Arschloch und hat ständig diskutiert und alles besser g’wusst.« Da Helmuth wieder begann, aus dem Fenster zu starren, drang Charly nicht weiter in ihn.
Sandra präsentierte ihnen die Mitarbeiterliste der Firma Gessler. 46 Namen standen, ergänzt durch die dazugehörigen Adressen und die Verwendung im Betrieb, säuberlich untereinander.
»Ja, ja, ich weiß schon«, maulte Helmuth, schnappte sich die Liste und startete STUPID. »Zefix.«
Charly suchte unterdessen seinen Kommissariatsleiter auf, um ihn von Gesslers Geständnis und dem Stand der Dinge zu unterrichten. Aber Barsch war nicht überrascht von der Entwicklung. Garn-X-Conny hatte ihn bereits über Bierschneiders »klugen, gekonnten Schachzug« informiert. »Direkt ein Avocado diabolis«, wie sich der gemüsekundliche Laienlateiner ausgedrückt hatte. Ob morgen Beamte für die Befragung der Mitarbeiter zur Verfügung stehen würden, konnte Barsch jetzt noch nicht sagen, es würde sich zeigen.
Schließlich versuchte Charly, den pensionierten Kollegen Stöbner zu erreichen, um ihm mitzuteilen, dass sein Fall von damals, wenn auch vermutlich nicht zu seiner Zufriedenheit, so doch aus statistischer Sicht, geklärt war. Er erreichte aber am Telefon nur Stöbners Sohn und erfuhr, dass seine Eltern kurzfristig eine Last-Minute-Reise gebucht hatten und sich derzeit und noch während der nächsten Woche in Kenia aufhielten. Die erneute Erkenntnis »die machen’s richtig« gepaart mit ein wenig Neid keimte ganz kurz in Charly. Aber er vergönnte es den Stöbners. Er war ja selbst schuld, wenn es bei ihm nicht so lief, wie er es sich wünschte.
Genervt und enttäuscht von diesem Tag kam er nach Hause, wo ihn eine freudestrahlende Petra empfing. Im Supermarkt, wo man sonst in der Gemüseabteilung nur vitaminfreien Salat und geschmacksneutrale Tomaten aus Holland fand, war heute Aktionstag ›aktiver leben – gesünder ernähren‹ gewesen. Dort hatte sie herrlich frische Bambussprossen und frisch zubereitete Gemüsebratlinge erworben. Ein wahres Fest an gesunder Ernährung stand ihnen bevor. Charly rieb sich den Bauch und erklärte Petra, er sei noch so gesättigt von dem Grünkern-Risotto, das er mittags gegessen habe, dass er lieber zuerst eine Runde laufen würde.
»Ja, aber du warst doch gestern erst beim Laufen.«
»Macht nix, Schatz, so wild lauf ich ja nicht. Da kann man ruhig mal jeden Tag was tun, das schadet gar nix.«
Er schlüpfte in eine Adidas-Trainingshose, ausnahmsweise nicht in seine Laufhose, und streifte sich ein frisches Sweatshirt über. Dann schnappte er sich unbemerkt seine Geldbörse und mit dem Hinweis, er würde lieber im Wald laufen, setzte er sich ins Auto und fuhr aus dem Hof.
Es herrschte nicht viel Betrieb in der Pizzeria Da Gina im nahe gelegenen Winden. Der Name Da Gina war eigentlich nicht korrekt, denn Gina war schon lange nicht mehr da. Der von ihr verlassene Mario führte seitdem das Lokal alleine weiter; ein kleiner, breiter Italiener, der, wenn er mit einem Tablett voller Gläser durch den Gastraum watschelte, immer ein wenig an Charly Chaplin erinnerte. Charly kannte Mario seit 25 Jahren und genauso lange kannte er dessen Rigatoni della Casa, Rigatoni in Sahnesoße mit Schinken, Champignons und Erbsen. Dazu einen gemischten Salat, kräftig zubereitet mit Essig und Öl, und ein frisches Weißbier. Während Charly aß, setzte sich Mario zu ihm. Marios gebrochenes Deutsch hatte sich während der letzten 25 Jahre nicht erkennbar verbessert, wobei Charly den Verdacht hegte, dass der Italiener absichtlich so sprach, um ein Klischee aufrecht zu erhalten, das die deutschen Gäste in einer Pizzeria einfach erwarten durften. Und so redeten und radebrechten sie während des Essens über die Geschäfte, die Polizei, über Frauen, Kinder und Enkel, über Fußball und über Sizilien. Charly fühlte sich richtig wohl und als sein Teller leer war, braute Mario zwei kräftige Espressi, wie immer auf Kosten des Hauses.
Nach
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